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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 4.1930

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Grimme, Adolf: Die Museen und die gegenwärtige Not!: Ansprache des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Grimme, bei der Hundertjahrfeier der Museen in der neuen Aula der Universität am 1. Oktober 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.17292#0360

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EIN MINIST

E

R SPRICHT

DIE MUSEEN UND DIE GEGENWÄRTIGE NOT!

Anfprachedes preufjifchen Miniffers für WiHenfchaff, Kunft
und Volksbildung, Grimme, bei der Hundertjahrfeier der
Mufeen in der neuen Aula der Un!ver(ität
am 1. Oktober 1930.

In der Schilderung Wilhelm Waetjolds ift eben die Zeit vor uns
lebendig geworden, in die die Anfänge der preufjifchen Staats-
muleen zurückreichen. Damals, vor 100 Jahren, hat man darum
(freiten können, ob von Staats wegen Mufeen für WiKenlchaft und
Kunft errichtet werden tollten oder nicht. Eins war aber jener Zeit
ganz feibftverftändlich : dafj der Staat überhaupt Recht und Pflicht
hat, Kunft und Wiffenfchaft aktiv zu fördern. Ift uns das heute
ebenfo (elbftverftändlich?

Da Erinnerungsfeiern Sinn nur haben als Befinnungs-
feiern, dürfen wir der unbequemen Frage nicht auswei-
chen, ob es angefichts des Maffenelends der Gegenwart
wirklich noch als Sache des Staates angefehen werden
darf, der Kunft umfangreiche Zuwendungen zu machen,
ihr fo ungewöhnlich grofje Zuwendungen zu machen, wie
es in den lebten Jahren zur Förderung der Bauten ge-
fchehen ift, die wir nun morgen fehen und übergeben
dürfen.

Man hat mir getagt, das Aufwerfen diefer Frage inmitten eines
Kreifes von Kunftwiffenfchaftlern und erften Kunftkennern der Erde,
wie lie in einem folchen Beieinander fchwerlich fchon jemals ein
Raum gefehen hat, werde überrafchen und als nicht an dielen Ort
gehörig empfunden werden. Ich kann mir das nicht denken. Denn
niemand lebt heute mehr (ein Dafein ohne Beziehung zum Ge-
famtgefchehen feiner Zeit. Und es könnte doch nur, wer die Not
nicht fähe, die uns heute quält, auf den Verdacht kommen, diefe
Frage nach den Grenzen der Wirkfamkeit des Slaates gegenüber
der Kunft fei Ausdruck jener geiftigen Haltung, die die Alten
den Böotiern nachzufagen pflegten. Soviel ift jedenfalls gewify:
untere Frage wird überall da verbanden werden, wo das
foziale Gewiffen wach ift. Sie wird von all den Zehn-
taufenden und Hunderttaufenden verbanden werden, die
umgekehrt das nicht fofort verftehen, wie der Staat in
einer Zeit, in der Millionen Menfchen nicht wiffen, womit
fie ihren Hunger ftillen follen, öffentliche Mittel in großem
Stil anftatt für Kleinwohnungen und Kinderfpeifung dazu
verwendet, dafj Erzeugniffe der Kunft, die, fo unbeftreit-

bar ihr objektiver Wert ift, für allzuviele nicht das ge-
ringfte bedeuten, angekauft, aufbewahrt, aufgeftellt und
in fo würdiger Form zur Schau gebracht werden, wie es
auf der Mufeumsinfel der deutfchen Reichshauptftadtfortan
der Fall fein wird. Mit dem von Grund auf gewiffenlolen Horaz-
wort des odi profanum als Antwort, mit diefer Abwehrbewegung,
dafj es auf diefe allzuvielen nicht ankomme, wird heute fchwerlich
noch jemand an diefem Problem vorübergehen. Wir empfinden
es vielmehr als eine Frage des geiftigen Schickfals der Nation, ob
es gelingt, eine Antwort zu geben, die nicht nur dem Kunftkenner,
dem Kunftgeniefjenden, dem Kunftfchüler, dem ausübenden Künft-
ler einleuchtet, fondern dem ganzen Volk. Und dem fteht es wirk-
lich nicht fett, wie etwas Offenbartes und der Kritik Entzogenes,
was im Umkreis des Gefamtbezirks des Lebens Sache des Staates
ift, was nicht. So ift bekanntlich durchaus umftritten, ob und wie
weit fich der Staat mit dem Bereich der Wirtfchaft zu befallen hat.
Und die angelfächfifche, die holländifche, die belgifche Auffaffung
etwa von dem, was der Staat aut dem Gebiete des Schulwefens
zu tun hat, ift eine entfcheidend andere als bei uns in Deutfchland.
Schon diefe Beifpiele einer tatfächlichen Problematik der Lehre
von den Staatszwecken geben die Vermutung an die Hand, dafj
wir es nicht mehr wie vor 100 Jahren und wie noch zu Bodes Zei-
ten als ein unanrührbares Dogma hinffellen können, der Staat habe
aktive Kunltpflege zu treiben. Angenommen felbft, es liefje fich eine
folche Forderung aus irgendeiner Staatsphilofophie deduzieren,
ich weifj nicht, ob diefe rein theoretifche Erkenntnis dann bereits
eine genügend breite Grundlage abgeben würde, um nun auch
den Kunftetat eines Staates nicht nur dem zuftändigen Finanz-
minifter und dem Parlament, fondern vor allem jener Öffentlich-
keit einfichtig zu machen, in der es ein Millionenheer von Arbeits-
lofen und von Exiftenzen gibt, die am Leben verzweifeln.

Ich glaube auch nicht, dafj bei diefen Mafien jener Grund für die
Notwendigkeit, Mittel in den Etat für Kunftpflege einzufetjen, ver-
fängt, den man meint, wenn man lagt: Gewifj, es geht uns (chlecht;
aber einmal wird es doch auch wieder anders kommen; und ge-
genüber diefer kommenden belferen Zeit haben wir einfach die
moralifche Verpflichtung, ererbte Werte durch diefe Jahre des
Tiefftandes hindurchzuretten. Wenn 1 00 Jahre lang Menfchen unter
Einfatj ihres Vermögens, ja ihres Lebens und unter Verzicht oft
genug aut (onftige Genüffe Werke der Kunft planmäßig gefammelf
und gepflegt haben und nun ein fo gewaltger Befitj zufammen-
gekommen ift, wie ihn heute die preufjifchen Muleen enthalten,
hat da der Staat nicht in der Tat die „Pflicht und Schuldigkeit", dafj
er diefes Erbe auf die Nachwelt bringt, dies koftbare Erbe, an
deffen Verwaltung, Pflege und Mehrung fo viele arbeiten, denen

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