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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 4.1930

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Grimme, Adolf: Die Museen und die gegenwärtige Not!: Ansprache des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Grimme, bei der Hundertjahrfeier der Museen in der neuen Aula der Universität am 1. Oktober 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.17292#0361

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heute durch mich der Staat einmal öffentlich Dank lagt. — Ge-
wiß, meine Damen und Herren, das ift eine Begründung, und
für Sie und mich folgt daraus ficher, dafj wir den Mut nicht finken
laffen, fondern halten, was wir haben. Und wenn Herr Finanz-
minifter Höpker-Afchoff und mein Herr Amtsvorgänger Minifter
Becker und der Herr Generaldirektor der ftaatlichen Mufeen und
deren Mitarbeiter dies Verpflichtungsgefühl nicht befeffen hätten,
dann wäre der Neubau nicht vollendet. Aber es ift dennoch
ebenfo gewifj, dafj auch diefe Begründung nicht aus-
reicht gegenüber den der Kunft und der Wiffenfchaft
fremd gegenüberftehenden Maffen unteres Volkes. Stel-
len Sie fich einmal hin und tagen Sie in dem Deuttchland
der Nachkriegszeit, zumal in diefen krifenhaften Tagen,
den hungernden Matten, diefe Kunftgüter feien nun ein-
mal da und fie feien von ungeheurem Wert und es wäre
eine Kulturfchande, wollten wir fie abftoljen und nicht
alles daran fefjen, fie unferen Enkeln zu überliefern. Was
Sie als Antwort erhalten würden, beftenfalls erhalten
würden, wäre dies, dafj viel wefentlicher als die Erhaltung
von Gütern, an denen fich untere Enkel einmal würden
freuen können, die Erhaltung der Söhne und Töchter ift,
damit fpäter einmal überhaupt noch Enkel da find, die
einer folchen Freude an den Gütern der Kultur würden
teilhaftig werden können.

Es gibt nur eine Rechtfertigung dafür, daß der Staat Hundert-
taufende und Millionen ausfchüttet zur Förderung und Pflege der
Kunft. Das ift die Überzeugung, daß es außer dem religiöfen Er-
griffenfein keine andere Kraft gibt, die den einzelnen Menfchen
und ein ganzes Volk fo zu formen vermag wie das Erlebnis gro-
ßer Kunft, eine Überzeugung, aus der der Wille erwächft, alles
daran zu feßen, dafj die Kunft als menfchenformende und volk-
prägende Kraft wirklich lebendiges Gemeingut des getarnten
Volkes wird. In einem Zeitalter der das Gefchick der Na-
tion mitbefiimmenden Maffen darf der Sah, dafj die Kunft
ein Gut des getarnten Volkes fein müffe, kein blofjer
Feiertagsfatj fein, den man im Mundeführtzur Beruhigung
der anderen und zur Übertönung des eigenen Gewiffens.
Sonft meiftert niemand die Gefahr, dafj eines Tages die
Sorge für die nackte Exiftenz feiner Bürger den Staat
durchaus auch entgegen feinem eigenen Willen zur Kunlt
dahin treibt, dafj er die Fürforge für die ftaatlichen Stät-
ten der Kunft muh in den Hintergrund treten laffen.
Soll alfo untere Erinnerungsfeier mehr fein als ein Ausruhn in dem,

wohin wir es gebracht, foll es eine Befinnungsfeier lein, dann müf-
fen fich alle, denen die Sache der Mufeen eine Angelegenheit
des Kulturgewiffens ift, auf die Aufgabe befinnen, dafj künftig ein
ganz grofjer Teil der Energie und der felbftlofen Arbeit, die zu-
nächst vorwiegend auf Fachliches und auf Sammeln und auf Stu-
dien gerichtet worden ift, freigemacht wird für die Erziehung der
Gefamtheit unteres Volkes zur Kunft und damit zur geiftigen
Volkwerdung.

Diefe Aufgabe ift deffen wollen wir uns freuen — längft be-
gonnen, und fie wird getragen ganz wefentlich gerade von der
Sehnfucht diefer felben Maffen, teilhaben zu können an der Welt
des Geiftes und der Werte. Und fo handelt es (ich in gar keiner
Weife um eine Forderung von unerhörter Neuheit. Wir ftehen
vielmehr längft inmitten der Entwicklung hin zu diefem Ziel; denn
wenn man etwa vergleicht, wie die Jugend auf den Schulen noch
vor einem Menfchenalter oder nun gar erft vor 100 Jahren bei der
Entftehung der Mufeen mit Kunft in Verbindung gebracht worden
ift, und wie das heute gefchieht, dann können wir ich kann das
zwar nur von Preufjen aus eigener Anfchauung, da aber ohne
überfchätjung fagen eine Wandlung feftftellen, die einfehnei-
dender ift als der Schulfortfchritt auf irgendeinem wiffenfchaftlichem
Gebiet. Wenn das, was in der künftlerifchen Erziehung der Jugend
derart verheißungsvoll begonnen ift, immer mehr feine natürliche
Fortfefjung findet auch auf dem Gebiet der Erwachfenenbildung,
wenn alfo in das allgemeine Volksbewußtfein die Einficht eingeht,
daß der Befiß der Mufeen inneren Befiß jedes einzelnen zu wer-
den vermag, dann braucht uns nicht bange zu (ein um die Zukunft
der Mufeen in den nächften 100 Jahren. Ich muß es aber wieder-
holen: Es i ft eine Exiftenzfrage für die ftaatliche Kunftpflege über-
haupt und für den Stand der ftaatlichen Mufeen im befonderen,
daß es gelingt, den Sinn aller Schichten unteres Volkes für die
Welt der künftlerifchen Werte zu wecken und der mitten in der
ärgften Not immer wieder hervorbrechenden Sehnfucht der Maf-
fen nach diefer Welt Erfüllung zu fchenken, diefer Sehnfucht, die
der zuverläffigfte Garant dafür ift, daß zuleßt doch immer wieder
im einzelnen Menfchen wie im ganzen Volk die Sorge für die
Materie verdrängt wird von dem opferbereiten Willen zum Geilt.
So weiß ich denn den Mufeen zu ihrem heutigen Fefttage im Na-
men der preußifchen Staatsregierung nichts Wefentlicheres zu
wünfehen als dies, daß es nicht erft nach abermals 100 Jahren dem
im demokratifchen Deutfchland auch für die künftlerifche Höhen-
lage der Nation mitverantwortlich gewordenen Staatsbürger eine
Selbftverftändlichkeit ift, in der Kunft zu fehen dreierlei: Pforte zur
vertieften Erkenntnis der Wirklichkeit, Quelle freudegebender
Kraft zur Beherrfchung diefer Wirklichkeit und ein unwegdenk-
bares Mittel zur Geftaltung des eigenften Wefens von Menfch und
Volk.

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