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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0027

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Bemerkungen

Von der alten Akademie zu der neuen Schule für künstlerische Arbeit.

Wer die Situation der deutschen Akademien und Kunstgewerbeschulen
in den letzten Jahren beobachtet und ihre Arbeiten unbefangen geprüft
hat, der wird zu der Lage der Dinge, wie sie sich jetzt durch die bevor-
stehende Auflösung der Akademien in Königsberg, Breslau und Kassel
herauszubilden beginnt, nur dieses Eine sagen können: daß unter Um-
ständen aus dieser Not etwas sehr Gutes entstehen kann, wenn man sich
nämlich entschließt, mit einem Programm durchgreifender Neuordnung
Ernst zu machen. Die wirtschaftliche Krise liegt hart auf uns allen, wir
wissen es. Allein, jede Krise hat den Vorzug, daß sie die Probleme und die
Menschen viel besser, viel schärfer ins Licht treten läßt und dort, wo über-
lebte Einrichtungen in unser modernes Leben hineinragen, den Weg der
Lösung, die Methode der Klärung viel deutlicher aufzeigt. In vielen ande-
ren deutschen Städten, wo vielleicht heute einstweilen noch keine Auf-
lösung irgend eines Instituts droht, liegen die Dinge ganz ähnlich wie in
Königsberg, Breslau und Kassel. Die Frage ist in erster Linie prinzipiell.

Daß die alten Akademien, selbst dort, wo ihr Lehrkörper mit modernen
Kräften durchsetzt ist, auf Grund ihrer bloßen Existenz als rein künstle-
rische Anstalten nun eben auch eine Atelierkunst pflegen, die in der
heutigen Welt nur noch eine ganz schmale Basis hat — das ist seit Jahren
überall mit dem größten Nachdruck ausgesprochen worden, und die Kri-
tiker dieses Zustandes haben mehr als einmal sogar die völlige Abschaf-
fung aller noch vorhandenen Akademien verlangt. Daß andererseits die
Kunstgewerbeschulen mit wenigen Ausnahmen, selbst dort, wo sie mit
der Pflege der modernen Serienarbeit und der modernen Architektur ent-
schlossen Ernst gemacht haben, auf einer im alten Sinne handwerklichen,
„kunstgewerblichen" Stufe weiterarbeiten und oft genug mit den lokalen
Innungen und der regionalen Industrie nicht nur keinen Zusammenhang,
sondern obendrein auch keine Gemeinsamkeit der Ideen haben — auch
das ist schon dutzendfach ausgesprochen und getadelt worden. Aber,
täuschen wir uns nicht, es gibt schiefe Situationen, die in der organisato-
rischen Grundlage, sozusagen in der konstruktiven Idee der betreffenden
Einrichtung ihre Ursache haben. Die Akademien können nicht anders sein,
als sie sind, so lange sie mit staatlicher Billigung auf der einst vollkommen
richtigen, heute aber völlig überholten Anschauung von Wert und Wesen
der freien Kunst beruhen, und die Kunstgewerbeschulen ihrerseits können
nicht anders sein als sie sind, solange ihre Existenz staatlich verankert ist
in einer handwerklich-künstlerischen Atmosphäre, die es einst gab, die in
ihrer Art wunderschön war, die aber dem modernen Menschen immer
ferner rückt. Diesen beiden Umständen muß jeder Versuch einer neuen
Ordnung der Dinge Rechnung tragen: daß die vorhandenen Formen sol-
cher Anstalten überholt sind, und daß gewissermaßen das Fundament neu
gelegt werden muß, wenn es einen neuen Bau auch wirklich tragen soll.

Das entscheidende Moment, auf welches bei diesen Fragen heute alles
ankommt, liegt, so seltsam es klingen mag, im Psychologischen. Wir
machen uns bei allen diesen pädagogischen und kunstpolitischen Er-
wägungen viel zu wenig klar, daß in unserer wie in jeder Generation ein
Begabungswechsel größten Stils sich vollzieht und voll-
zogen hat, auf den eine moderne Schule in ihrem eigensten Interesse un-
bedingt Rücksicht nehmen muß. Der Typus Mensch, der sich heute der
Kunst zuwendet, ist ganz anders organisiert, als etwa vor 30 Jahren, als
die großen Programme für unsere Akademien und Kunstschulen in den
Ministerien ausgearbeitet wurden. Manche Misere in diesen Schulen

rührt davon her, daß sie mit einer Art Menschen rechnen, die es in solcher
Prägung wahrscheinlich überhaupt nicht mehr gibt. Das gilt insbesondere
für alle Berufe sog. „angewandter" Kunst, ebenso für die Architekten, und
vielleicht ist selbst bei Malern und Bildhauern die Ursache aller Stilwand-
lungen in solchen Begabungsverschiebungen zu suchen. Das Leben er-
neuert sich niemals nur mechanisch, immer erneuert sich mit ihm auch der
Apparat der Erneuerung selbst!

Praktisch gesprochen: wir müssen alles daransetzen, denjenigen Typus
Schule zu schaffen, der den veränderten Verhältnissen Rechnung trägt,
und zu einem solchen Vorhaben kann es gar keine bessere Vorbedingung
geben, als wie sie sich jetzt in Königsberg, Breslau und Kassel herausge-
bildet hat. Denn die erste Forderung muß natürlich lauten: keinerlei Tren-
nung in Akademie und Kunstgewerbeschule mehr, nicht mehr Zersplitte-
rung in zwei Schultypen, von denen beide überholt sind, sondern
Schaffung einer einzigen zentralen Schule für künst-
lerische Arbeit, die in ihren Klassen alle die Disziplinen zu lehren
hat, für welche die künstlerische Begabung im weitesten Sinne ein wesent-
liches Element bildet. Diese Vereinigung aller Klassen in eine Schule ist
schon deshalb eine absolute Notwendigkeit, weil, wie jeder Pädagoge
weiß, gerade die begabtesten Schüler oft jahrelang schwanken, bevor sie
sich einem bestimmten Berufe zuwenden. Man muß ihnen die Möglichkeit
geben, diese Schwankungen sozusagen organisch in einer und derselben
Schule durchzumachen.

In einer solchen zentralen Schule für künstlerische Arbeit müßte fernerhin
— und das ist vielleicht das Wichtigste von den praktischen Postulaten —
jemand an führender Stelle stehen, der einen ganz klaren Blick hat für die
B e r u f s m ö g I i c h k e i t e n in allen Zweigen der ange-
wandten Kunst. Es hilft nichts, sich dieser Erkenntnis zu verschließen:
unsere jungen Menschen, und gerade diejenigen, in denen sich künst-
lerische Begabung mit der Fähigkeit praktischer Formgestaltung vermischt,
müssen heute beruflich arbeiten können, dürfen nicht ins Blaue hinein „ge-
stalten", sondern sind die einzig möglichen Qualitäts- und Modellarbeitei
für die Industrie. Es hätte nie so weit kommen dürfen, wie es tat-
sächlich gekommen ist, daß die Industrien überall ihre eigenen Werk-
schulen aufmachen, daß die Innungen in den großen Städten den
staatlichen Kunstschulen sehr kühl gegenüberstehen, und daß oft
genug das Abgangszeugnis einer gut geleiteten Baugewerksschule
mehr galt als dasjenige einer „künstlerischen,, Anstalt! Wenn jetzt
in dieser so weitmaschigen und schwierigen Frage wirklich wieder von
vorne begonnen werden kann, wenn uns wirklich die Not zu einer Kon-
zentration zwingt, so wollen wir aus ihr die beste Lehre ziehen. D i e n e u e
zentrale Schule für künstlerische Arbeit verbinde
sich von Anfang an mit der Industrie der betr. Region,
sie werde eine legitime praktische Vorbereitungs-
schule für Industrie und Gewerbe und stelle so ihre
Adepten endlich ganz unzweideutig in das Leben
hinein.

Die große Reform der Kunstgewerbeschulen, die Hermann Muthesius vor
30 lahren angebahnt hat, und deren A und O in der Einführung der Werk-
stätten lag, war ein erster Schritt in dieser Richtung. Jetzt muß der zweite
erfolgen, die Verständigung mit der regionalen Industrie, d. h. der end-
liche wirkliche Einbau dieser Art Schule in das, was heute für den jungen
Menschen allein noch eine Realität bedeutet: das praktische Leben.

Gantner.

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