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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Chronik der Länder
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0082
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Die hiesigen Straßenverstopfungen sind direkt katastrophal. Buenos
Aires ist ein ausgezeichneter Beweis ad contrarium für die Notwendig-
keit städtebaulichen Eingriffs in das Leben der heutigen Großstädte."
Wir hoffen, in einem der nächsten Hefte einige praktische Auswirkungen
der städtebaulichen Reformpläne publizieren zu können. Gtr.

Kanarische Inseln

Eine moderne Zeitschrift

Die Literarische Abteilung des „Circulo de bellas artes" in Tenerif e
gibt seit einiger Zeit ein sehr lebendiges Blatt heraus, das in der Art der
früheren belgischen Zeitschrift „Sept Arts" aufgemacht ist und gleich-
mäßig Fragen der Literatur, der bildenden Künste, der Musik behandelt.
Heft 3 vom 1. April war eine Goethe-Sondernummer und brachte Bei-
träge von Andre Suares, L. R. Curtius u. a., Heft 4 vom 1. Mai beschäftigt
sich mit Piscator und neuem Bauen. Probleme, die in Zentraleuropa
schon etwas abgeklungen sind, werden hier mit frischem Elan behandelt.

Rußland

Sensation um den neuen Sowjetpalast!

Wir haben im letzten Heft das Projekt von Walter Gropius für den neuen
Palast der Sowjets veröffentlicht und dabei diesen Wettbewerb seiner
ganzen Idee nach mit dem Völkerbundswettbewerb von 1927 in Parallele
gestellt. Nun bringt die spanische Zeitschrift AC die sensationelle Nach-
richt, daß die russische Regierung das hier abgebildete Projekt eines
jungen Amerikaners ausführen lassen wolle — eine Meldung, die man
mit dem an Stalin gerichteten Protest der Delegierten-Versammlung der
Kongresse für Neues Bauen (s. letztes Heft, Seite 45) zusammenhalten
muß, um ihr immerhin einige Wahrscheinlichkeit zuzubilligen.
Ueber das Projekt selbst, das mit seiner Zusammenstoppelung
historischer Formen, seiner peinlichen Warenhausgotik an die schlimm-
sten Projekte des Völkerbundswettbewerbes zurückerinnert, ist weiter
nichts zu sagen. Wenn die russische Regierung für ihr zentrales Gebäude
in Moskau wirklich dieses armselige Machwerk ausführen läßt, dann wird
sie sich in den Augen aller künstlerisch interessierten Menschen unsterb-
lich blamieren. Denn dann erhält die Sowjetunion einen Palast, der seiner
architektonischen Conzeption nach nicht nur meilenweit fern ist von der
Weltanschauung, mit welcher der russische Rätestaat bisher Europa so
sehr in Atem gehalten hat, sondern der auch in seinem künstlerischen
Dilettantismus weit hinter dem Ausführungsprojekt für das Völkerbunds-
gebäude zurücksteht, in welches immerhin noch einige Ideen von
Le Corbusier nachträglich eingeschmuggelt worden sind. Gtr.

Wie arbeitet die Gruppe May in Moskau?

Ueber die Tätigkeit Ernst Mays und seiner Mitarbeiter in Rußland sind
in den letzten Wochen die wildesten Gerüchte im Umlauf gewesen. Ins-
besondere hat ein Teil der Frankfurter Lokalpresse, die schon früher Mays
Tätigkeit erbittert bekämpfte, jeden noch so geringfügigen Anlaß wahr-
genommen, um in großen Aufsätzen darzutun, wie restlos die Arbeit der
deutschen Architekten in Rußland gescheitert sei, welches Unglück diese
Expedition ihren Teilnehmern gebracht habe usw. Alte Ressentiments,
politische Gegnerschaft und Sensationsbedürfnis wirkten hier zusammen.
Wir halten es für unsere Pflicht, in dieser von Ernst May gegründeten Zeit-
schrift so objektiv wie möglich über die Angelegenheit Aufschluß zu
geben. Man vergesse nicht, daß die Berufung Mays nach Moskau, wie
man die Dinge auch drehen mag, eine sehr große und damals allgemein
mit Befriedigung aufgenommene Anerkennung deutscher Bauarbeit war,
daß einem der begabtesten und tatkräftigsten europäischen Architekten
Gelegenheit gegeben werden sollte, die Erfahrungen des älteren euro-

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Amerikanisches Projekt für den Sowjetpalast in Moskau.
Projet americain pour le Palais des Sowjets ä Moscou.
American Project of the Sowjet Palace at Moscou.

päischen Städtebaus in dem jüngeren Rußland zu erproben, und daß für
Dutzende von arbeitslosen deutschen Architekten auf diese Weise ein
neues Tätigkeitsfeld erschlossen wurde. Mit derselben Objektivität, mit
der wir in diesem Hefte den Plan des amerikanischen Sowjet-Palastes
für Moskau ablehnen, müssen wir heute anerkennen, daß die Berufung
Mays, wenn sie wirklich die damals beabsichtigte Auswirkung gehabt
hätte, in der Geschichte des Städtebaus ein geradezu historisches Er-
eignis geworden wäre. Aber, ob Rußland oder Europa, welcher Plan von
1929/30 ist 1932 wirklich ausgeführt?

Wir wissen heute, daß der Elan, mit dem die Gruppe May ihre Arbeit
begonnen hat, nach einiger Zeit wenigstens zum Teil durch die Schwie-
rigkeiten äußerer Art gebrochen wurde, daß zwar Teile der von ihr ge-
planten Städte Magnitogorsk und Kusnjetzk (siehe „Das Neue Frankfurt"
1931, Heft 7) ausgeführt sind, aber nach Plänen, für die Ernst May schwer-
lich verantwortlich gemacht werden kann, und daß die ganze Gruppe
heute an einer anderen Stelle des russischen Bauwesens arbeitet als am
Anfang. Einer der Mitarbeiter von Ernst May, WalterSchulz der bis
vor wenigen Wochen noch in Moskau gearbeitet hat, hat uns auf unsere
Bitte folgende Schilderung der Verhältnisse gegeben, die wir hier, zur
Feststellung der Wahrheit, ohne weiteren Kommentar abdrucken:
„Die Gruppe May, ursprünglich aus 17 Architekten bestehend, wurde im
Herbst 1930 von der zentralen kommunalen Bank für Wohnungsbau (Ze-
kombank) angestellt. Die Bank ist die Durchgangsstelle für alle in der
Anlage neuer Städte und Siedlungen verwandter Geldmittel und zu-
gleich Prüfungsstelle für Entwürfe und Bauausführung. Die Absicht der
Bank war, ihre Position weiter auszubauen, indem sie mit erstklassigen
Kräften selbst Projektierungsarbeit leisten wollte, um dadurch den sehr
mäßigen Standard zu heben. Sie erfocht ihren ersten Sieg damit, daß die
Planung der Stadt Magnitogorsk nach heftigem Konkurrenzkampf der
Gruppe May übertragen wurde.

Aus dieser Bemerkung geht verschiedenes grundsätzlich Interessante
hervor: erstens, daß es im Land der Vergesellschaftlichung Einzelinitiative
von Konzern- und Trustleitern gibt; zweitens, daß im Land der Planwirt-
schaft Konkurrenzkämpfe zwischen Staatsunternehmen möglich sind;
drittens, daß die Leistung deutscher Spezialisten an die Politik und Per-
sönlichkeiten ihrer übergeordneten Verwaltung gebunden ist. Diese drei
Tatsachen sind Leitmotive in den weiteren Geschehnissen der Gruppe

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