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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Jedlicka, Gotthard; Gantner, Joseph: Was wird aus der Großstadt?: Die Zukunft der Großstädte ; Wrights Vorlesungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0100

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Was wird|aus der Großstadt?

Die Zukunft der Großstädte

Wir machen auf das neue Buch von Karl Schettler, das den Titel „Der
neue Mensch" trägt und im Inselverlag erschienen ist, an dieser Stelle
aufmerksam, weil es einen umfangreichen Essay über die Zukunft der
Großstädte enthält, wie er mit dieser Reife und Ueberlegenheit in unserer
Zeit kaum je geschrieben worden ist und wie er auch der Generation,
die heute dazukommt, ihren Ideen Form geben zu können — und die mit
dieser Zeitschrift verbunden ist — von großem Gewinn sein wird. Es
scheint uns in diesem Zusammenhang sehr wichtig, auf eine Tatsache
hinzuweisen, die die Oeffentlichkeit schon lange vergessen hat und die
übrigens auch denen, die mit ihr vertraut sein sollten, heute aus dem
Gedächtnis entschwunden ist. Im Dahre 1913 hat Karl Scheffler bei Bruno
Cassirer in Berlin ein Buch über die Zukunft der Großstädte heraus-
gegeben, das rasch vergriffen war und in dem er, wobei er an manchen
Stellen zum erstenmal und immer auf eine meisterhafte Weise formulierte,
den Versuch unternahm, den man später häufig unternommen hat, die
Genesis der Großstädte zu erklären und zugleich, was eine kühne Tat war,
ein Bild der Entwicklung zu geben, wie er sie sich aus dieser Genesis
heraus vorstellte. Seine Forderungen lauteten, wenn man sie knapp zu-
sammenfaßt: die Stadt zum Arbeiten, das Land zum Wohnen. Das könnte
heute gesagt worden sein. Er sah die Großstadt der Zukunft als einen
Verband vieler Stadtwirtschaften um einen gemeinsamen Lebenskern
oder wie er es später einmal ausdrückt: Dezentralisation unter der
Herrschaft einer Zentralidee. Er schilderte — mit einer Anschaulichkeit,
als ob er von einem bestimmten Beispiel ausgehe — im Mittelpunkt der
Stadt, die er als eine typische Großstadt ansah, eine durchgebildete City,
die mit dem Stadtkern zusammenfällt und in der auch der Hochbau zuge-
lassen ist — mit besonderen Teilen für die Industrie, für die Regierungs-
gebäude, für Museen, Banken, Markthallen; um diese Arbeitsstadt, von
Rasenflächen unterbrochen, einen Gürtel von Stockwerkhäusern zum
Wohnen, große Blocks einheitlich gebauter und sozial gedachter Wohn-
häuser, Verbände von Mittel- und Kleinwohnungen, die besondere
Gemeinden bilden und so verwaltet werden, daß sie gemeinsame Wasch-
küchen, Heizanlagen, Gärten und Sportplätze haben, Häuserblocks, die
monumentale Straßenwände schaffen, zwischen denen breite Ausfall-
straßen hinduchführen nach den Wohnstätten, die weiter draußen in
Wiesen und Wäldern liegen, Gartenstädte, die durch schnelle Bahnen
mit der City und durch Gürtelbahnen miteinander verbunden sind und
in denen nun das niedrige Reihenhaus und das Einfamilienhaus mit Garten
dominiert. An entscheidender Stelle jenes Buches stand nun aber auch
die folgende Fußnote: „Wie sich die Dinge gestalten werden, wenn ein
sicher einmal zu erwartender Weltbankerott der Industrie und des Welt-
handels einsetzt, ist noch nicht abzusehen; es ist die Möglichkeit einer
zukünftigen Zertrümmerung auch der Großstadt in den Gesichtskreis
dieser Betrachtung darum mit Bewußtsein nicht aufgenommen worden."
Das wurde ein 3ahr vor dem Weltkrieg geschrieben. Liegt in solchen
Bemerkungen, denen wir auf anderm Gebiet seines Gestaltens ähnliches
zur Seite stellen können, nicht der Beweis dafür, wie sehr Scheffler heute
das Recht hat, in der Frage der Entwicklung der Großstadt sich Gehör zu
verschaffen? In der Beantwortung dieser Frage sind die Jungen nicht
jünger als er. Scheffler liest das äußere Bild der Großstadt der Zukunft
aus der kommenden Schichtung der Gesellschaft ab, wobei er auf
Rußland und Amerika blickt, die er als eine solche ansieht, in der
Reichtum und Kapital in einem vorerst noch unvorstellbaren Ausmaß im
Dienste der Allgemeinheit stehen, vom Staatsgedanken kontrolliert und
immer mehr ein Werkzeug desStaatskapitalismus unddesStaatssozialismus

werden. Wir haben damit zufällig einen Gedanken herausgegriffen. Es ist
in einer solchen Notiz, die nur Hinweis sein will, nicht möglich, den Reich-
tum von Beobachtungen, Erfahrungen und Forderungen, in die sie aus-
münden, wiederzugeben: wir müßten ein Dutzend Seiten aus der zweiten
Hälfte des Essays hierhersetzen können; wir hoffen, daß sie dieser oder
jener selber suchen wird. Denn was hier in reifer Einfachheit dargelegt
ist, das bildet in seiner Gesamtheit ein Programm, wie es sich eine junge
Architektengeneration stellt, von einem Kritiker verfaßt, der bei vielen
— und vor allem bei denen, die seine Leistung nicht überblicken — im
Rufe eines Reaktionärs steht. Gotthard Jedlicka

Wrights Vorlesungen.

Frank Lloyd Wright, Modern architecture. Being the Kahn Lectures for 1930.
Published for the Department of art and archeology of Princeton
University 1931. Princeton University Press.

Die außerordentlich schönen Vorträge, die Wright 1930 an der Princeton
University gehalten hat,werden in der Baugeschichte des 20. Jahrhunderts
als literarische Zeugnisse für die Periode, sagen wir vorsichtiger, für die
Strömung einer romantisch-individualistischen Architektur den Ehrenplatz
haben, den sie um ihrer Kühnheit und persönlichen Haltung willen ver-
dienen. Aber sie sind kein Brevier für das Europa nach 1918, in welchem
als erstes architektonisches Problem großen Stiles die Beseitigung einer
phantastischen Wohnungsnot, als zweites der fast unmögliche Umbau der
alten Stadtkerne und als drittes die Beschaffung von Siedlungsstätten für
Millionen von Arbeitslosen aufgetreten sind! Wo also, mit andern
Worten, in einem Zeitraum von zehn Dahren eine Entwicklung sich vollzog,
für deren Intensität die gesamte Geschichte der Architektur keine
Parallele aufzuweisen hat.

Heute, wo in den größten deutschen Städten hunderte von alten Villen
leer stehen und in moderne kleine Wohnungen unterteilt werden, wo
sogar schon Nachkriegssiedlungen sich zu entvölkern beginnen, wo in
England die Quäker seit Jahren eine großzügige Aktion für Erwerbslosen-
Siedlungen durchführen — heute wissen wir, daß bei uns in vielen Fällen
noch viel zu individualistisch, viel zu sehr also im Sinne von Frank Lloyd
Wright gebaut worden ist — nur leider ohne den Hintergrund eines
bleibenden, großen Reichtums, der Wrights Bauten, von den ent-
zückenden Landhäusern in Pasadena bis zu dem pompösen Imperialhotel
in Tokio, den Charakter von Behausungen für ein glückliches, unbe-
schwertes Dasein gibt. Ob aber Wright selber, wenn man ihm die Auf-
gabe gestellt hätte, ein neues Großstadtquartier mit Arbeiterwohnungen
und den dazu gehörigen Schulen und Geschäften zu bauen, die Elemente
der Geometrie, die Vereinfachung aller Teile bis zur maschinellen Norm
hinab ebenso gering geachtet hätte wie in seinen kalifornischen Villen?
Ob er, als Architekt von höchster Begabung, nicht vielmehr gerne auf das
Plus an Phantasie verzichtet hätte, um durch eine äußerste Rationali-
sierung der Grundrisse und der Bauteile eine äußerste Verbilligung der
Kosten zu erzielen? Und ob dann nicht ganz von selbst und völlig unbe-
absichtigt Bauten entstanden wären, die andern, unter ähnlichen Voraus-
setzungen errichteten Häusern in andern Ländern ähnlich gesehen
hätten, also daß schließlich die Idee einer internationalen Geltung solcher
Prinzipien, eines „internationalen Stils" schlechthin, aufgetaucht wäre?

Gtr.

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