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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Sauerlandt, Max: Zu den Arbeiten von Richard Haizmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0106

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Die Künste

Zu den Arbeiten von Richard Haizmann

Nichts, was in seinem Werte ruht und Bestand hat, ist leicht entstanden
Nicht einmal die Musik Mozarts. Alles ist Ergebnis tiefer, rastloser, leben-
verzehrender Arbeit. Nur daß diese Arbeit beim Künstler sich an einer
zarteren, immateriellen Substanz unsichtbar vollzieht, als geistige Arbeit
eigener Art.

Auch hinter Haizmann's Werken, soweit sie Wert und Bestand haben
— und ich glaube, daß viele von ihnen von hohem Werte sind und
langen Bestand haben werden — steht eine Fülle solcher unsichtbarer
und ungreifbarer Arbeit in der Aufnahme und Vorbereitung durch be-
ständige nach außen und innen gerichtete Beobachtung, durch uner-
bittliche Welt- und Selbstprüfung, eine Fülle von Versuch und Probe,
ein langes, verborgenes Wachstum schon vor dem Erscheinen des Werkes
im ersten Entwurf. Und weiter lebenverzehrende Arbeit im Ausgestalten
dieses ersten Entwurfs zu dem Unbedingten, im Suchen nach der voll-
kommenen Standfestigkeit und der in sich selbst beruhenden Ausdrucks-
kraft der Form.

Denn erst in dem oft über Wochen und Monate währenden Vorgang der
endgültigen Formung gewinnt die vorher ungreifbare Idee, die erste Ein-
gebung eines fruchtbaren Moments, ihre greifbare und begreifbare Ge-
stalt im Werk.

Aus der Luft, die wir atmen, aus dem Licht, das uns umstrahlt, aus dem
Boden, der uns die Nahrung zuträgt, aus der unser Blut sich bildet, aus
dem Blut der Eltern und dem eigenen Blut wächst Jahr um Jahr, Tag um
Tag neues Leben auf mit immer neuen, aus Blut und Leben quellenden,
durch alle Lebenserlebnisse gefärbten Vorstellungen, Empfindungen, Be-
dürfnissen.

Wie sich während des Mittelalters im Rittertum ein neues Daseins- und
Körpergefühl bildete, das die Blüte der mittelalterlichen Architektur,
Malerei und Bildhauerkunst in ihrer Form bestimmte, wie in der Renais-
sance der Mensch sich neu als organisch-gesetzlichen Organismus emp-
fand und aus diesem neuen Empfinden sein künstlerisches Gegenbild
gestaltete, so ist in dieser unserer Zeit eines großen Gestaltwandels
von Welt und Menschheit in Leben und Haltung wieder die Bildung
eines neuen Seelen- und Körpergefühls im Werden, das in der Kunst
seinen gleichgeformten Ausdruck sucht. Und das Kunstwerk ist nichts
anderes, als sichtbar gewordenes, zu Bild und Bildwerk gestaltetes
Seelen- und Körpergefühl der Zeit und des einzelnen Künstlers.
Man hat Sport und Technik kulturfeindlich, kunstfremd genannt. Seltsame
Verkennung. Sie sind nicht kulturfeindlich und nicht kunstfremd. Sie sind
an und für sich kulturindifferent, kulturell noch gar nicht existent.
Aber in ihnen und durch sie wachsen allmählich neue physische und mit
ihnen die neuen seelischen Bedürfnisse heran.

Sie werden die Grundlage auch für die künstlerische Form der nächsten
Gegenwart bilden.

Auf unseren Spiel- und Sportplätzen, auf dem Rade, im Auto, im Flug-
zeug, angesichts aller der mikrokosmischen Maschinen, die unser Leben
wie eine zweite, vom Menschen geschaffene Natur höherer Ordnung
umgeben, tragen, bereichern, auf Schritt und Tritt begleiten, entsteht, uns
selbst unbewußt, unwiderstehlich das neue Weltgefühl, das auch die
neue architektonische, bildnerische und malerische Form bestimmen
muß.

Es vollzieht sich im Dunkeln des Unterbewußtseins jedes Einzelnen und
der Gesamtheit der Menschen in einem nun schon durch Jahrzehnte
wirksamen Vorgang eine Umformung, die sich im Werke der unbewußt
Bewußtesten, der schöpferischen Künstler, als ein geschärftes Empfinden
für alle statischen und dynamischen Ausdruckswerte der Form äußert.

Nicht durch angefügten Schmuck muß im Gerät der Eindruck des „Künst-
lerischen" hervorgerufen werden, die Phantasie des Künstlers wirkt auch
in der Erfindung des organisch gestalteten Formkörpers selbst, in der
Erfindung des sprechenden, ausdrückenden Umrisses, in der Erfindung
einer in sich selbst beruhenden, in sich selbst bewegten Raumform.
Aus einer Verschmelzung dekorativer Formen im einzelnen Werk, aus
der Verschmelzung der Künste: Architektur, Skulptur, Plastik, Malerei tritt
das einzelne Werk nun wieder in seiner Selbstbedeutung, in seiner ab-
soluten formalen Autarkie hervor. Architektur will nur noch Raumum-
schließung, Plastik und Skulptur wollen nur noch Körpergestaltung,
Malerei will nur noch Gliederung und Organisation der Fläche sein.
Aber das ist nur die eine Richtung dieses Daseinsgefühls.
Aus der Besinnung auf die Funktionsbedeutung des Körpers und seiner
Glieder quillt zugleich ein unmittelbares, nahes Gefühl für die dynamische
Wirkung jeder Form, der maschinellen ebenso wie der organischen, die

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Richard Haizmann, Hamburg. Vogel, Oiseau, Bird.

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