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Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

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Wagner, Martin: Städtebau als Wirtschaftsbau und Lebensbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0198

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Während die 10 Zimmerwohnungen im Zen-
trum leer stehen.

Pendant qu'au centre de la ville, des apparte-
ments de 10 chambres restent vides.
Whilst ten-room flats in the centre of the cities
are vacant.
Photos Köster.

Die Steuermänner unserer Wirtschaft wußten nicht, was sie taten, als sie ein
Sklavenheer von vielleicht 500 Millionen Maschinenarbeitern in Deutschland
und vielleicht 1 000 Millionen Maschinenarbeitern in dem Lande des Sternen-
banners in Dienst nahmen, am Wohlstand des Volkes arbeiten ließen und nun
zum großen Teil entlassen haben. Maschinen sind keine Menschen, die man
nach Hause schicken kann! Sie stehen da und fressen am Vermögen der Nation!
Die Geister, die wir riefen, die werden wir nicht mehr los! Und nochmals fragen
wir nach oben: Wißt Ihr, was Maschinen sind?

Damit Ihr's wißt: Werkzeuge des Segens oder des Verbrechens, Fangapparate
und Gleichrichter für die Kräfte der Natur, für Kohle und Oel, für Wasser, Wind
und Wellen. Maschinen weisen diesen gewaltigen Naturenergien die Richtung
ihrer Wirksamkeit. Entweder zum Wohlstand oder zur Armut, entweder zum
Leben oder zum Tod! Nur kundige Führer können die Maschinen steuern!
Wir Ingenieure schufen die Maschinen, um Menschenarbeit zu ersetzen oder
Menschenarbeit zu verstärken, nicht aber um Menschen arbeitslos zu machen!
Die Maschinen bieten Euch Führern der Wirtschaft darum ein Entweder — Oder:
entweder legt Ihr die Maschinen still und laßt die Menschen arbeiten (und das
hieße die Weltkurbel auf rückwärts drehen) oder Ihr verkürzt den Menschen
die Arbeitszeit und laßt die Maschinen Volldampf laufen (und das heißt die
Weltkurbel auf vorwärts drehen)! Ein Drittes gibt es nicht! Die Menschen und
die Maschinen arbeitslos machen, das liegt nicht im Plan unseres Zeitalters!
Das ist nicht nur Maschinenmord, das ist auch Selbstmord!

Die Maschinen melden drei (für jeden Ingenieur ganz selbstverständliche) An-
sprüche beim Führerstand der Wirtschaft an:

sie wollen dauernd laufen,

sie wollen schneller laufen,

sie wollen billiger laufen.
Die Maschinen leisteten einst dauernde, schnelle und billige Arbeit, solange
die Zahl der Maschinenarbeiter nicht groß war und solange die Welträume mit
Maschinen noch nicht gefüllt waren. Guter Absatz für billige Maschinenarbeit
erzeugte aber immer mehr Maschinen und die Kurve der Verbilligung der
Arbeit wurde in freier Konkurrenz immer flacher. Eine Gegenkurve stieg empor,
die Gegenkurve des Leerlaufes! Die Kurve unfreiwilliger Arbeitspausen, die
Kurve abgestoppter Geschwindigkeiten, die Kurve teurer werdender Betriebs-
kosten. So aber lassen sich Maschinen nicht behandeln!

Darl man es glauben, daß auf dem Führerstand der Wirtschaft so regiert wird,
daß eine einzige Nation mit ihren Maschinen den Radiobedarf der Welt zu
einem Vielfachen und den Automobilbedarf der Welt zum Anderthalbfachen
abdecken kann? Darf man noch an eine sinnvolle Führung der Wirtschaft glau-
ben, wenn das Maschinenvolumen der Welt den Bedarf der gesamten Mensch-
heit dreifach oder vierfach decken kann und wenn die Führung der Wirtschaft
es der Menschheit heute nicht erlaubt, diesen Bedarf zur Hälfte zu decken?
Wer steht in den führenden Kulturländern der Welt auf der höchsten wirt-
schaftspolitischen Kommandobrücke, Genie oder Irrsinn? Das ist hier die Frage!
Wer die Natur, wer ihre Energien, wer ihre und unsere Maschinen vergewaltigt,
sie nur halb und langsam und teuer arbeiten läßt, der darf sich nicht wundern,
wenn sie sich an der Menschheit rächen. Die Maschinen lassen der Wirtschaft
nicht die Freiheit, sie nach Willkür und Laune arbeiten oder ruhen zu lassen.

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