Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die neue Stadt: internationale Monatsschrift für architektonische Planung und städtische Kultur — 6.1932-1933

DOI Artikel:
Bemerkungen
DOI Artikel:
Bücher und Zeitschriften
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.17521#0244

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bemerkungen xum neuesten Graphikwerk Picassos.

Illustrationen zu Ovids Metamorphosen, in eine französische Prosa-
ausgabe. Klassizismus? Nein, so einfach sind diese Radierungen nicht ein-
zureihen. Voll echter blutvoller Klassik und doch im nervigen Strich, im
federnden Kontur, in der bewegten Szene voll heutigsten Temperaments.
Manchmal überraschende Hinwendungen zum Akademischen — man
spürt sofort die Ironie, die dabei den Stift führt. In dieser Ironie lebt auch
die Verbindung zu jenen andern Klängen, die plötzlich einbrechen, selt-
sam fremd dieser klassischen Welt. Und doch auch wieder innig ihr
eingebunden. Die betonte Dreiviertel-Profilstellung, die hier oft so selt-
sam mit dem sonst wahrnehmbaren Bestreben kontrastiert, alles Dar-
gestellte in die freieste und weiteste Flächensicht zu breiten, wäre noch
aus antikem Kanon zu erklären: der raumschaffends Körperkubus, auf die
Ebene projeziert, täuscht Volumen in die Fläche hinein. Als krasser
Gegensatz zu solcher Herausarbeitung des Körperlichen erscheint nun
aber eine Ausweitung der in die Sicht gespannten Flächen, in die die
Gestalt zerlegt wird, bis zu absurdesten Konturen hinaus, welche die Ge-
stalt als solche merklich verunklären, dafür aber ein Ornament schaffen,
in dem die Gesamtfläche nun ein eigenes Leben beginnt. Diese Verge-
waltigung der Gestalt, einer flächigen Sichtbarkeit zuliebe, führt in ihrer
letzten Konsequenz dann noch weiter bis zur willkürlichen Auseinander-
reißung der Gestalt. So auf dem Blatt, wo ein bärtiger Mann eine Dung-
frau wegführt (Vertumnus und Pomona): vorn das Mädchen, der rechts
von ihr stehende Mann beugt sich hinter ihr vor, sodaß sein Körper von
der Mädchengestalt überschnitten wird. Dadurch bliebe ein Teil der
Mannsgestalt verdeckt — eine für diesen Stil unmögliche Konsequenz:
der Körper des Mannes wird also getrennt — sein Oberteil erscheint in
voller Gestalt links vor dem Mädchen. Daß in der Region der Beine da-
durch eine verwirrende Unklarheit der Zugehörigkeiten entsteht, kann
hier nur als gewollter Reiz empfunden werden.

Dies fanatische in-die-Sicht-Rücken aller Teile führt in seiner allerletzten
Konsequenz dann zur Simultanwiedergabe der verschiedenen Gesichts-
Ansichten. In zwei Blättern, einmal am Motiv des Mädchenkopfs, das
andere Mal an dem des Männerkopfs entwickelt sich von links nach
rechts laufend die reine Profilansicht über die Halbprofilansicht zur
Frontalansicht des Antlitzes. Da diese letztere nur halb gegeben werden
kann, wird ihm das Auge der Profilansicht als Ergänzung zugeteilt, was
wieder jenen merkwürdigen Prickel einer Zwischenstellung zwischen
Wirklichem und Unwirklichem aufkommen läßt. Und gleichsam als drama-
tische Entgegnung zu diesem Sichtbarmachungsprozeß (gleichsam eine
Aufblätterung des Antlitzes) wird rechts — abgesondert von ihm — die
andere Profilansicht des gleichen Antlitzes ins Bild hereingeschoben,
wodurch etwas dramatisches hereinkommt. Es ist, als ob hier das Moment
der Zeit mit hereingenommen wäre: beim Ablesen scheint es, als ob das
Gesicht auf dem Blatt langsam vom Profil zur Enface-Ansicht und von ihr
wieder ins andere Profil sich bewege.

Eine solche Hereinnahme des Zeitmoments in die Bildwiedergabe glaubt
man auch auf einigen Darstellungen von Aktionen feststellen zu dürfen,
in denen verschiedene Momente der Bewegung von einzelnen Körper-
teilen nebeneinander dargestellt, dabei doch auf die gleiche Gestalt-
einheit bezogen werden. Also verwunderliche Rückgriffe nicht so sehr
auf futuristische Experimente, als vielmehr auf Darstellungsmethoden des
Mittelalters, deren Vermengung mit streng klassischer Linienführung und
wieder mit aufbrausend konturierender Flächenweitung den merk-
würdigen, ja aufregenden Reiz dieser Blätter ausmachen. Man spürt:
hier spricht der „ganze" Picasso, sowohl (früherer) Kubismus wie (letzter)
Surrealismus sind in diese Blätter mit eingegangen. Also: eine komplexe
Künstlerpersönlichkeit hat hier geschaffen, ein Mensch von heute, der

durch alle Schleier der Form und über alle Abgründe des künstlerischen
Abenteuers hinweg die klare Sonne Arkadiens uns wieder aufleuchten
läßt. o s

Bücher und Zeitschriften

Der Architekt Erich Mcndelsohn hat eine sehr interessante, panegyrisch
beschwingte Rede auf dem Kongreß des Internationalen Verbandes für
kulturelle Zusammenarbeit (Zürich, Mai 1932) als Broschüre heraus-
gegeben „Der schöpferische Sinn der Kris e". Verlag Bruno
Cassirer, Berlin. Broschiert 1.— RM.

Jan Tschicholds neueste Schrift „Typografische Entwurfstech-
n i k" ist ein sehr willkommenes Hilfsmittel für alle diejenigen, die mit
Satz- und Druckgestaltung zu tun haben. Wichtig sind besonders die voll-
ständigen Gradverzeichnisse der typografischen Grundschriften, wobei
Tschichold die einzelnen Schriften in ihren Anwendungsmöglichkeiten
charakterisiert. Akad. Verlag Dr. Wedekind, Stuttgart. Broschiert 1.50 RM.
Matths Teutsch hat eine „K u n s t i d e o I o g i e" (Stabilität und Aktivität
im Kunstwerk) herausgegeben, die ihrer ganzen Anlage nach um einige
3ahre zu spät kommt. Ihre expressionistischen Begriffe sind für heutige
Ohren zu wenig expressiv, die zahlreichen Holzschnitte wohl pädago-
gisch interessant, aber durch die dazu gestammelten Texte bildlos ge-
worden („jede Kultur hat ihren Kern als Block, der durch Kunst in Form
gestaltet wird. Der Block ist die Tat, das Leben die Umfassung"). So ein-
fach liegen die Dinge wirklich nicht. Verlag Müller & 3. Kiepenheuer,
Potsdam. Broschiert 5.80 RM.

Kurt Schwitters' „Merz 24" bringt seine „Ursonate" zum Abdruck, ein
später Nachzügler einer leider viel zu wenig beachteten, programmatisch
interessanten Kunst, die vor allem für den Rundfunk viele Möglichkeiten
bieten könnte. Merzverlag, Hannover, Waldhausenstraße 5.

Wasmuths Lexikon der Baukunst, auf dessen erste drei Bände wir in den
Heften des „Neuen Frankfurt" hingewiesen haben, ist nun mit Band IV
(P—Z) zum Abschluß gelangt. Bei aller Kritik im Einzelnen — man muß es
außerordentlich begrüßen, daß dieses Werk geschaffen werden konnte,
das wohl auf lange Zeit hinaus für die heute gültigen Anschauungen, für
die heute erreichbaren Kenntnisse auf diesem riesenhaft großen Gebiete
die wichtigste Zusammenfassung darbietet. Nirgends so sehr wie bei der
Lektüre eines solchen Lexikons wird es deutlich, wie sehr doch die
gesamte architektonische Arbeit, ja auch die gesamte Vorstellung von
dar Baukunst der Vergangenheit dauernd im Flusse ist, so daß ein Lexi-
kon notwendigerweise einen oft gewaltsamen Schnitt durch die Pro-
bleme machen muß, um sie überhaupt aufzeigen zu können.

Auch in diesem Bande notieren wir als besonders wertvoll die Zusam-
menfassungen über einzelne Städte und Länder, die baugeschichtlichen
Exkurse (von Kömstedt, Reuther, Krischen u. a.) sowie die technischen
Erklärungen. Die Bilder sind reich und vielgestaltig. Als Herausgeber
zeichnet Günther Wasmuth, als Schriftleiter Leo Adler und als Bildredak-
teur Georg Kowalczyk. Der Preis des gesamten Werkes (4 Bände) ist auf
216 Mark herabgesetzt worden.

Neue Literatur Uber Rußland

1. Auf das kleine Schriftchen „Schweizer Städtebauer bei
den Sowjets" (Verlag Genossenschaftsbuchdruckerei Bassel) haben
wir schon hingewiesen. Es enthält drei Berichte: Hans Schmidt, Der neue
Weg; Hannes Meyer, Der Architekt im Klassenkampf; Ein Schweizer
Katholik als Stoßbrigadler in der Sowjetunion.

205
 
Annotationen