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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
No. 181 - No. 190 (3. August - 14. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44142#0149
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für Heidelberg und Umgegend
(Z3ürger-Zeitung).

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holung entsprechender Rabatt-
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Krpedition: Kcruptstrcrße Mv. 23.

188.

verantwortlicher Redakteur:
Herrn. Streich.

Freitag, den 11. August

Druck und Verlag:
Heckmann, Dörr L lvurm.

1«S3.

' Ginbchcrzigknswerthcs Lchlutzwort.
Ein deutscher Gelehrter, Gustav Schmoller, der
bekannte Professor der Nationalökonomie in Berlin,
hat jüngst seine Sommervorlesungen mit folgender
Ansprache geschlossen:
„Es bleibt mir noch übrig, den zahlreichen
Herren, die bis heute meine Vorlesung mit so viel
Fleiß und Aufmerksamkeit gehört haben, meinen Dank
auszusprechen, es versteht sich, daß ich diesen Dank
nur auf Sie beschränke nicht auf die ausdehne, die
das Semester über geschwänzt haben und heute nur
erscheinen, um sich ein Testat geben zu lassen, mit
dem sic später die Eramenbehörden täuschen wollen.
M. H- Ich bin damit weit entfernt, jeden tadeln
zu wollen, der Vorlesungen schwänzt. Vor allem
die älteren und fleißigen Leute, in denen ein le-
bendiger Wissenstrieb erwacht ist, die viel lesen, zu
Hause arbeiten, sie können oft ihre Zeit besser ver-
wenden, als zum Hören von Kollegien. Was mich
schmerzt, ist nur die Thatsache, daß so viele Stu-
dirende zwei bis drei Jahre überhaupt nichts thun,
nichts lernen, als Bummeln und Faulenzen. Ich
habe auch gar nichts dagegen, daß die Jugend sich
mal austobe einige Tollheiten mache. Aber zwei
bis drei Jahre in oontinuo nichts thun, das wird
sonst in der ganzen Welt keinem Erwachsenen ge-
stattet, das kommt in keiner anderen Karriere vor;
das bat in keinem Erziehungssystem der Welt sonst
einen Platz. Wer zwei bis drei Jahre nur faulenzt,
Frühschoppen trinkt, Komment lernt, sich einem
trägen Genußleben ergibt, der muß körperlich und
geistig zu Grunde gehen. Aus Dem kann nur
ausnahmsweise später noch etwas werden. Nun
kann man sagen, es sind ja nur einige! Und
gottlob gibt es viele bessere Elemente. Ich klage
auch keineswegs, ich habe nie zu klagen gehabt
über leere Auditorien; von 2—300 sind fast
stets über die Hälfte, oft aber zwei Drittel vor-
handen, und das ist lange genügend, um mit Freude
und Genuß zu doziren. Aber der Prozentsatz der
FaulenzerZst doch zu groß. Er macht mir Kummer
nicht wegen meiner, sondern weil ich an die Zukunft
denke, weil ich mich frage, ob unser Beamtenstand den
schweren Aufgaben gewachsen sein wird, denen wir
entgegen gehen, oder überhaupt in Charakter, Bil-
dung und Wissen nicht zurückgeht. Und für diese
Fragen ist das Entscheidende, was der Student auf
der Universität getrieben und gelernt hat. Wir
dürfen nicht so viele Referendare, Assessoren,
Richter, Landrätbe und Geheime Räthe haben, die
nichts auf der Universität gelernt haben, als die
Äußerlichkeiten und Genüsse des Studentenlebens.
Unsere besitzenden und gebildeten Klassen sägen den
Ast ab, auf dem sie sitzen, wenn sie einem Drittel
ihrer Söhne derartiges gestatten. Ich vermisse diese
Art ferner nicht in meinem Kolleg, ich fühle mich
in viel besserer Gesellschaft, wenn sie nicht da sind.
Aber die Zukunft des Vaterlandes macht mir Sorge.
Unter den Fehlern aristokratischer Gesellschaftsklassen
stehen stets die frivolen Ausschreitungen der Heran-
wachsenden Generation, die vollends in materia-
listischer Zeit nur genießen, patent und schneidig

auftreten und nichts arbeiten will, in erster Linie.
Nichts erbittert mehr, als ein solches Treiben. Oft
bat es in der Geschichte den Anlaß zu Umwälzungen
gegeben. Nicht also um die harmlose Frage, ob
der Student einmal mehr oder weniger schwänze,
handelt es sich, sondern um das geistige und sitt-
liche Niveau unserer Beamten, unserer Lehrer,
und führenden Kreise überhaupt, um die Zukunft des
preußischen und des deutschen Staates. Und weil
mir die am Herzen liegt, habe ich mir gestattet,
Ihnen gegenüber zum Schlüsse mein Herz aus-
zuschütten. Die Studenten sollen wenigstens
wissen, daß es unter den akademischen Lehrern
welche, wahrscheinlich sehr viele gibt, die dieser Frage
nicht gleichgiltig gegenüberstchen."
Diese eindringlichen Worte bedürfe keines
Kommentars.

Deutsches Reich.
Berlin, 10. August.
— Die „Kreuzzeitung" schreibt: Da die württem-
bergische Regierung gebeten hat, vom Manöver des
XIII. Corps gegen das XIV. abzusehen, hat der
Kaiser befohlen, letzteres Corps zu Manövern mit
dem XV. Corps bei Hagenau heranzuziehen. Um
dem Futtermangel in den von den Manövern be-
rührten Gegenden vorzubeugen, hat der Kaiser die
Heranziehung der Fourage für das XIV. und XV.
Corps aus den östlichen Provinzen befohlen. Auch
sollen beim XV. Armeekorps die Uebungen, welche
bis zum 26. September dauern sollten, schon mit
dem 14. September abschneiden und die Reserven
alsdann entlassen werden. Das XIII. (württem-
bergische Armeekorps wird unter solchen Umständen
auf die Anwesenheit des Kaisers nur für die große
Parade am 15. September und für ein Manöver
der 26. gegen die 27. Division am 16. September
rechnen können.
— Wenn man an der Börse recht unterrichtet
ist, so hat Herr Witte einen neuen Coup zur
Schädigung der deutschen Industrie ersonnen. Nach
Petersburger Privatbriefen sind die russischen Eisen-
bahngesellschaften angewiesen worden, ihr Material
fortan nicht mehr den dortigen Filialen ausländi-
scher Etablissements zu entnehmen. Damit sollen
selbstverständlich die deutschen Zweigniederlassungen
getroffen werden, deren es bekanntlich eine ganze
Anzahl von leistungsfähiger Kraft gibt.
— Von verschiedenen Seiten wird gemeldet,
daß die Fabriken zahlreiche Arbeiter entlassen
wegen des Zollkrieges und wegen verwundeter Be-
stellungen aus Amerika. Der größte Theil der
russischen Blätter betont fortgesetzt, für die
beiderseitigen Interessen sei einZollfriede Wünschens-
werth. In Bremen weilt gegenwärtig ein Dele-
girter des russischen Finanzministers, um sich über
den Stand der dortigen Handelsbeziehungen zur
russischen Petrolenmindustrie zu unterrichten.
— Eine von etwa 100 Personen besuchte Ver-
sammlung der Anarchisten u. Unabhängigen
protestirte gegen die Ausschließung von dem Züricher
Kongreß und bestritt diesem in einer schließlich an-

genommenen Resolution das Recht, sich internatio-
nalen Arbeiterkongreß zu nennen; denn er habe
die Arbeiterorganisationen ausgestoßen, die nicht nur
die kapitalistische Gesellschaftsordnung, sondern auch
die Herrschaft eitler Demagogen bekämpfen. Ein
Brief Landauer's schildert die deutschen Delegirten
in Zürich als Waschlappen, die von Fischer dirigirt
würden. Hoch aus Frankfurt und Schippel spielten
eine besonders traurige Rolle. Die Gewaltthaten
seien im Auftrage Singer's verübt worden. Bebel
habe geäußert, es sei doch nöthigensalls für hand-
feste Leute gesorgt. Sogar an die Züricher Polizei,
den Genossen Polizeidirektor Vogelfänger, hätten
deutsche Delegirte sich gewendet. (Rufe: Lumpe!
Gemeinheit!) In der Debatte, die häufig durch den
Lärm der anwesenden Sozialdemokraten unterbrochen
wurde, fielen deftige Angriffe gegen die unduld-
samen, kleinbürgerlichen Sozialdemokraten, deren
Delegirte in Zürich abhängig seien von den Führern,
um ihre Existenz als Parteibeamte kämpften und
die Masse nur als Staffage benutzten.
— Die sozialdemokratische Arbeiterbildungsschule
sträubt sich gegen das Verlangen der anderen Partei-
genossen, ihren Unterricht auf Nationalökonomie,
Geschichte und Deutsch (für Agitatoren) als die im
„Klassenkampfe" wichtigenDisziplinenzu beschränken.
Die Genossen wollen aber die Schule nur unter
dieser Bedingung weiter unterstützen, deren Erfüllung
ihren Unterhalt wesentlich verbilligen würde. Unter
diesen Umständen ist die Weiter-Existenz der Schule
zweifelhaft. Sie wird sich aber vermuthlich fügen.
— Das Kaiserliche Gesundheitsamt theilt auf
eine Anfrage mit, daß von einem in Berlin voll-
kommenen CH 0 lera fall amtlich nichts bekannt sei.
Stuttgart, 9. Aug. Dem Vernehmen nach
hat der von seiner Stellung als Reg.-Präsident des
Neckarkreises auf die Stelle eines Direktors des
Landesvexsicherungsamtes ohne seinen Willen ver-
setzte Herr Präsident v. Häberlen durch einen
hiesigen Anwalt Beschwerde beim Verwaltungsge-
richtshof einreichen lassen. Ob die Beschwerde Er-
folg hat, bezweifelt man in den maßgebenden
Kreisen.
Ausland.
Wien, 10. Aug. Das Organ des österrei-
chischen Sanitätswesens schildert die gesundheitliche
Lage für Oesterreich als ernst, viel ernster als im
Vorjahre; Galizien und die Bukowina seien durch
Rußland, die südliche Reichsgrcnze durch Italien
schwer bedroht.
London, 10. Aug. Es heißt, daß die Königin
Viktoria dem deutschen Kaiser für den nächsten
April einen Besuch im Schlosse St olze n fe l s zu-
gesagt hat. Im Jahre 1845 waren die Königin
und ihr Gemahl daselbst Gäste des Königs Friedrich
Wilhelm IV. Die Königin Viktoria wird auch
eine Woche in Cronberg bei der Kaiserin Friedrich
zubringen.
Petersburg, 10. Aug. Die Unterhandlungen
zwischen Oesterreich und Ruß l a n d sollen dem
Vernebmen nach ins Stocken geratben sein durch
das Verlangen Rußlands, Oesterreich solle dem

russischen Getreide dieselben Zugeständnisse bewilligen^
die es Italien und Serbien gewährt. Da Oester-
reich diesem Verlangen nicht willfahren könne, dürfte
dieser Punkt das Scheitern der Unterhandlungen
verursachen.__
Aus WuH und Jern.
* Karlsruhe, 10. Aug. Das neue Mädchen-
gymnasium wird am 11. September eröffnet.
Das Schulgeld beträgt 200 Mk. für das Jahr;
auch Schülerinnen für einzelne Fächer werden aus-
genommen. Anmeldungen sind an den Verein für
„Frauenbildungsreform" in Hannover zu richten.
Die Wahl von Karlsruhe für das Mädchengvm-
nasium beruht in erster Reihe auf der günstigen
Stellung, welche die Regierung und mehr noch die
Zweite Kammer (Berichterstatter Oberbürgermeister
Dr. Schlusser von Lahr) zu der Frage eingenommen
hat. — Von Veränderungen der Garnison in-
folge der Heeresvermchrung verlautet, daß das neue
vierte Bataillon des Leib-Grenadier-Regiments, da
hier kein Raum ist, nach Durlach gelegt wird; das
dort garnisonirende dritte Bataillon des Infanterie-
Regiments Nr. 111 soll nach Rastatt kommen.
* Mannheim, 10. Aug. Gestern Vormittag
gegen H^/4 Uhr entgleiste Maschine, Gepäckwagen
und ein Wagen 1./2. Kl. des Schnellzuges 216
an der Einmündungsweiche der Alsenzbahn zur
direkten Kurve nach der Ludwigsbahn bei Hochspeyer
wahrscheinlich dadurch, daß der Gepäckwagen auf
die Weiche aufstieg und entgleiste. Verletzungen
sind nicht vorgekommen. Die Reisenden wurden
mit Güterzug 629 nach Neustadt weiter befördert
zum Anschluß an den Frankfurt-Baseler Schnellzug.
Die Aufgleisungsarbeiten wurden sofort begonnen.
Untersuchung ist eingeleitet.
* Plankstadt, 10. Aug. Zu dem gestern ge-
meldeten Brandunglück erfahren wir noch, daß
das neu errichtete Scheuerngebäude Gaa's, das
ebenfalls niederbrannte, zwar zur Versicherung an-
gemeldet, diese aber noch nicht abgeschlossen war.
Die vernichteten Erntevorrätbe der beiden Betrof-
fenen sind leider unversichert gewesen. Außer
unserer Löschmannschaft waren auch die Löschmann-
schaften von Oftersheim und Grenzhof und die
Feuerwehren von Wieblingen, Schwetzingen und
Eppelheim auf dem Brandplatze thätig. Ueber die
Entstehungsursache ist auch heute noch nichts
ermittelt.
* Mosbach, 10. Aug. In der hiesigen ka-
tholischen Stadtkirche wird zur Zeit die neue
Orgel, erbaut von Herrn Orgelbauer Kiene in
Waldkirch, aufgestellt. Dieselbe scheint in kleinem
Rahmen ein Meisterwerk zu sein. Wenigstens
haben Autoritäten der Kirchenmusik in Freiburg,
welche die Orgel in Waldkirch geprüft haben, wie
wir von zuverlässiger Seite hören, sich in diesem
Sinne ausgesprochen, und auch kiesige Kenner sind
voll des Lobes über die günstige Disposition und
die überraschende Schönheit der Klangfarbe an den
bereits eingesetzten Stimmen. Am nächsten Samstag
Nachmittag wird Herr Orgelbauinspektor Stein

Gine dunkle GtzuL.
Roman von P. E. von Areg.
23) (Fortsetzung.)
„Sie lassen außer Augen, mein liebes Kind,"
entgegnete der Arzt, „daß Ihr Vater es für
nothwendig gehalten hat, diese Angelegenheit mit
einem geheimnißvollen Schleier zu umgeben, der
nur für ihn selbst und für den durchsichtig war,
mit dem jenes Geschäft abgeschlossen wurde. Wir
würden also gegen die Absichten des Verstorbenen
verstoßen, wenn ich meiner Neugierde die Zügel
schießxn ließe, und außerdem ein Vertrauen
täuschen, das ein uns fremder Dritter in Ihren
Vater setzte."
„Verzeihen Sie meiner Unüberlegtheit einen
Vorschlag, Herr Doktor," erwiderte Klara, „dessen
Ausführung nothwendiger Weise an der Recht-
lichkeit Ihres Charakters scheitern mußte. Es
schien mir so leicht, Ihrem Wunsche entsprechen
zu können, aber ich zog nicht in Betracht, daß
Gründe von so schwerwiegender Bedeutung vor-
liegen, um eine solche Ausführung unmöglich zu
machen."
Damit war die Sache abgethan und Keins
von Beiden verlor noch ein Wort über dieselbe.
Doktor Schwanenfeld verhieß nur, bevor er weg-
ging, daß er gegen Abend zu rechter Zeit wieder
kommen werde, um den Fremden zu empfangen
und das Geschäftliche mit ihm zu ordnen.
Wie er versprochen, so kehrte Doktor Schwa-,
nenseld em Nachmittag in der fünften Stunde

in das Wicnbrandsche Haus zurück und erwartete
dort im Schreibzimmer des verstorbenen Kommis-
sionärs die Ankunft des Herrn von Grünow.
Klara war mit ihm hinunter gegangen, hatte den
Geldschrank des Vaters geöffnet und ihm das
bekannte Packet daraus behändigt. Die Bücher
Wienbrands, die das Gericht nach davon ge-
machtem Gebrauche zurückgegeben hatte, weil sie
zur Abwicklung der Geschäfte noch häufig und
wiederholt hier gebraucht wurden, lagen auf dem
in der Mitte des Zimmers stehenden Tische,
hinter welchem der Doktor Platz genommen
hatte.
Er hatte übrigens kaum eine Viertelstunde
gewartet, als Grünow erschien. Man begrüßte
sich in der gemessen-steifen Weise, welche bei
einem Zusammentreffen zwischen zwei bis dahin
sich völlig Fremden in der Regel Platz zu greisen
pflegt. Als Doktor Schwanenfeld bei dieser Ge-
legenheit seinen Namen unter Vorsetzung des
Doktortitels, aber ohne seines Berufes zu ge-
denken, nannte, kam es ihm so vor, als sei der
Andere leicht zusammengezuckt.
Allein, das konnte vielleicht nur eine Täu-
schung sei; da die Dunkelheit bereits an diesem
trüben Herbsttage angebrochen war, brannte die
Lampe schon und ihr matter Lichtschein ließ eine
derartige Bewegung nicht mit solcher Deutlichkeit
erkennen, wie das Tageslicht.
Der Doktor nöthigte seinen Besuch aus dem
Sopha Platz zu nehmen und erklärte, indem
er sich neben ihm niederließ, daß er
bereits von der Tochter des Hauses des
Näheren über den Zweck seines Erscheinens unter-

richtet sei. Herr v. Grünow begann darauf sich
mit vielen umständlichen Worten darüber zu ver-
breiten, wie sehr er von dem plötzlichen Todes-
fälle Wienbrands ergriffen worden sei, allein der
Doktor unterbrach ihn alsbald in seinen weit-
schweifigen Auslassungen.
„Ich mache Sie darauf aufmerksam, Herr v.
Grünow," sagte er, „daß Sie in mir nicht einen
Verwandten der Familie vor sich haben, in deren
Hause Sie sich befinden, sondern lediglich den
mit der Ordnung der Geschäfte betrauten Beauf-
tragten der Wittwe. Wenn ich also bitten darf,
so halten Sie sich gefälligst mir gegenüber ledig-
lich an das Geschäftliche. Sie sind beauftragt,
ein Depositum zurückzuziehen; ich habe keinen
Widerspruch zu erheben, weil mir nicht vorge-
schrieben ist, die Qualifikation des Zurückfordern-
den als Besitzer des Depositums zu prüfen. Wer
den von Wienbrands Hand ausgestellten Depo-
sitenschein zurückgiebt und die Bedingungen er-
füllt, welche in demselben enthalten sein müssen,
wird von mir das Packet ausgeliefert erhalten,
das Sie bereits dort auf dem Tische liegen
sehen."
Auf diese indirekte Aufforderung zog Grünow
eine mit einer feinen Stickerei verzierte Brief-
tasche hervor, öffnete dieselbe und entnahm ihr
ein zweimal zusammengefaltetes Papier, das er
dem Doktor überreichte.
„Hier ist der Depositenschein," sagte er, aber
es kam dem Doktor so vor, als klänge seine
Stimme in diesem Augenblicke eigenthümlich ge-
preßt und ganz anders als vorher, „haben Sie
die Güte, ihn auf seine Richtigkeit zu prüfen."

Der Doktor nahm das Papier, entfaltete es
und ging damit zum Mitteltische, um es beim
Scheine der dort aufgestellten Lampe zu lesen
und gleichzeitig zu Prüfen, ob die Aufschrift deS
Packetes wörtlich in den Inhalt des Scheines
übernommen sei. Der Inhalt desselben lautete
folgendermaßen:
Dem Inhaber dieses von mir eigenhändig
ausgefertigten Depositenscheins wird gegen Rück-
gabe desselben von mir oder meinen Erbe»,
wenn ich zur Zeit der Rückgabe dieses Schei-
nes nicht mehr am Leben sein sollte, sobald er
die unten aufgcftthrteu näheren Bedingungen
ersüllt, dasjenige vierfach geschlossene Packet
ohne Prüfung seines Inhaltes ausgehündigt
werden, welches sich in meinem Geldschranke
befindet und folgende Aufschrift trägt:
Depositum. Der Inhalt dieses Packets
besteht aus Werthpapieren von beträcht-
lichem Betrage, die nicht mein Eigenthum
sind, sondern demjenigen gehören, welcher
einen mit dieser Aufschrift gleichlautenden
Depositenschein präsentirt und gleichzeitig
2500 Mk. nebst vierprozentigen Zinsen für
ein Jahr hinterlegt.
Hier hielt Schwanenfeld einen Augenblick im
Lesen an, denn ex erkannte sofort, daß sich
zwischen der Aufschrift auf dem Pallete und dem
Depositenscheine selbst ein sehr wesentlicher und
schwer ins Gewicht fallender Unterschied heraus-
stellte. Nach der ersteren lautete der Betrag
der Summe, die gezahlt werden sollte, auf
25000 Mark, nach dem letzteren nur auf
2500 Mark. Es war ein geradezu unverzeih-
 
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