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Zürcher Kunstgesellschaft [Hrsg.]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 1907

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Reiseerinnerungen 1853 von Marseille nach Genua
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https://doi.org/10.11588/diglit.43211#0023
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Ärgerlich über diese pro¬
saische Störung unserer poe¬
tischen Stimmung, gaben wir den
Verdruss in Worten kund, die
unsere engere Heimat auf das ge¬
naueste erkennen liessen, worauf
der Gelbbandelierte, bis hinter die
Ohrenringe rot vor Zorn, zur Ant¬
wort gab: „Wenn Sie nur nit
mainet, dass i Sie nit verstehe
tue!“ —
Cannes ist, soweit wir es zu
sehen bekamen, eine hübsche Stadt
mit breitem Quai und Promenaden
längs des Meeres, die jetzt, es
war Sonntag Nachmittag, von einer Menge schön geputzter Spazier-
gänger belebt sind. Die Damen, sämtlich mit Schleier ohne Hut und
dem Fächer, dazwischen Soldaten, Fischer, Seeleute, Pfaffen, Bauern,
Esel und Karossen, singend, lachend und scherzend, das gab zu-
sammen ein lustiges Bild voll heiteren Lebens.
Cannes ist einer der Hauptorte der Parfümerienproduktion, zu
welcher die ausgedehnten Blumen- und Orangengärten die Stoffe
liefern. Orangenwälder nach unsern Begriffen und Vorstellungen
kommen freilich nicht vor, wie denn überhaupt eigentliche Wälder
im Süden gar nicht oder nur selten zu finden sind.
Es sind hier alles von Mauern umschlossene Gärten, in welchen
die Zitronen- und Pomeranzenbäume, die auch ausgewachsen von
nur mässiger Höhe sind, so dicht stehen, dass sie, von aussen ge-
sehen, ein ununterbrochenes Laubdach bilden.
Die Sonne war schon untergegangen, als wir durch Antibes
fuhren, der letzten französischen Stadt und Festung, und Nacht war
es, als der letzte französische Gendarm den Wagenschlag öffnete,
um noch einmal die Pässe zu visieren. Dann aber endlich passierten
wir langsamen Schrittes die Brücke über den Var und sind auf
italienischem Boden. Auch hier wieder Nebelspalter quer auf dem
Kopf: Pass- und Douaneplackerei. Eine Stunde noch und wir sind
in Nizza, herzlich froh, nach mehr als sechsundzwanzigstündiger
Fahrt die Glieder nach Belieben strecken zu können.
 
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