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Zürcher Kunstgesellschaft [Hrsg.]
Neujahrsblatt / Zürcher Kunstgesellschaft — 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.43224#0047
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45

(Abb. 58). Locker uncl offen wie
der zeichnerische Aufbau und das
Seelische in dem Bilde (wer würde
in diesem Natur Wissenschaft er,
Mediziner und Dichter Joachim
Schiller v. Herderen den leiblichen
Vorfahren von Friedrich Schiller
suchen, der er sein soll), ist hier
auch die Farbe, mit starkem Vio¬
lett und Rot im Gewand, Saftgrün
im Hintergrund.
Das Kunstwerk spannt sich
zwischen Erlebnis und Form.
Die Kraft und Vollständigkeit
empfinden, mit der das Brlebnis
in Form gewandelt worden ist,
und die Stärke und Art des sinn¬
lichen oder andersartigen Erleb-
nisses, das hinter der Form steht:
nur das darf eigentlich heißen,
sich mit Kunst befassen und ein
Kunstwerk genießen. Brlebnis in
unreiner Form wiedergeben ist
noch nicht Kunst, vielleicht Dilettantismus. Form ohne Brlebnis ist nicht
mehr Kunst, sondern Manier, Geschicklichkeit, Formel, Rezept.
Von den Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts im Zürcher Kunsthaus ist
oft mehr und anderes als nur Antwort auf die Frage nach ihrem künstlerischen
Gehalt verlangt, die Ausstellung selbst gelegentlich als zu wenig systematisch,
zu wenig übersichtlich bezeichnet worden. Sie entsprach nicht ganz den An-
schauungsformen, den Theorien, die für diese Kunst von andern Werken und
Gruppierungen bisher gewonnen und in den Büchern schon nahezu zu Formeln
geworden sind. Ohne ganz bestimmten Plan ist die Ausstellung aber sicher
nicht aufgebaut worden, nur wurden die Bilder nicht gesammelt, um Ant-
worten zu geben, die bereits Allgemeinbesitz sind. Wenn die Anstrengung
schon gewagt wurde, so mußte nicht die nüchterne Bestätigung von bereits
Bekanntem, sondern für jeden Kunstfreund auch wieder ein neues Brlebnis
zu persönlicher Bereicherung gewonnen werden; denn wie für den Schöpfer
des Kunstwerkes Brlebnis und Form das Wichtigste bedeuten, so wird für
den Betrachter wieder das Kunstwerk selbst zum Brlebnis, das er ver-
arbeiten will, um über das Werk für sich ins klare zu kommen, es sich zu
eigen zu machen. Und eine Formulierung des ästhetischen Erlebnisses
der Ausstellung möchte dieses Neujahrsblatt darstellen. Die für die Kunst-
und Kulturgeschichte gesammelten Ergebnisse sind an anderen Orten for-
muliert und ausgebreitet.

Abb. 57. Hans Asper. Bildnis Ulrich Stampfer.
Zentralbibliothek Zürich.
 
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