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VIII. Alexandros Helios
Verwahrung einlegt. Das Unbestimmte ist in dem Gedichte das
eigentlich Bestimmende; ein Phantasiegebilde soll man nicht in die
nackte Realität bannen und es dadurch der höheren Wahrheit, die
es nur als das Unwirkliche besitzt, berauben. Die zeitgenössischen
Leser, darunter vor allem auch der feingebildete Adressat, haben die
Absicht des Gedichtes zweifellos verstanden: kannten sie doch die
sibyllinische, auf das Jahr 40 gestellte Prophetie, die der Dichter,
wie es in allen Schöpfungen seine Art war, frei gestaltend, aber
durch die Grundvoraussetzungen gebunden, für seine Komposition
verwertete. Der Verlust der Kenntnis jener Prophetie mußte das
Verständnis des Gedichtes gefährden und die Bahn für eine Namen-
jagd freimachen, die nach dem Ausweis der alten Kommentare so
früh einsetzte, daß der Dichter sie möglicherweise noch erlebte.
Gegen solche Verkehrtheit sind wir hoffentlich dauernd gefeit
Aber der Vorstellungskreis, in den wir geführt wurden, ist so ab-
sonderlich, daß wir nichts unversucht lassen dürfen, was geeignet sein
könnte unser Einfühlen in ihn zu erleichtern. Die Helios- und Aion-
ideen, die im Mittelpunkt dieses Kreises stehen, haben nun, wenn ich
nicht irre, gerade im J. 40, dem Erscheinungsjahre der Ekloge, noch
eine weitere Spur hinterlassen.
Als die Sibylle ihre Stimme erhob: 'Der Ausbruch eines neuen
Aion steht bevor, Helios ist sein Regent, ein Kind wird geboren, in
ihm manifestiert sich das Sonnenzeitalter, es ist zum Weltherrscher
bestimmt', wird im Imperium — der Ruf dieser Prophetin, von der
Weltsprache getragen, drang über alle Lande — kein Elternpaar
gewöhnlichen Ranges dem Wahnglauben verfallen sein, dem Heilande
der Welt das Leben zu geben: denn die Sibylle hatte die Eltern des
Wunderkindes in eine Sphäre emporgehoben, in der die Schranke
zwischen Irdischem und Göttlichem fiel. Gab es dennoch im weiten
Raume des Reiches damals einen Vater und eine Mutter, deren Sinn
so hoch flog, daß sie auf solche Würde glaubten Anspruch erheben
zu dürfen? Wenn wir überhaupt zu suchen berechtigt sind, so muß
unser Blick sich gen Osten wenden, denn der Westen war damals
einer Verleihung himmlischer Glorie an Sterbliche während ihres
Erdenlebens noch wenig geneigt. Aber auch im Orient wäre nur ein
Land in Betracht zu ziehen, auf welches nach den Ergebnissen un-
serer Quellenanalysen die besonderen Voraussetzungen dieses ganzen
Vorstellungskomplexes zuträfen.
Isis mit dem Horusknäblein hatte sich uns als das Urbild aller
Mütter mit einem Segenskinde dargestellt. Hierdurch werden wir in
eine ganz bestimmte Richtung gewiesen. Nach uraltem aegyptischen
VIII. Alexandros Helios
Verwahrung einlegt. Das Unbestimmte ist in dem Gedichte das
eigentlich Bestimmende; ein Phantasiegebilde soll man nicht in die
nackte Realität bannen und es dadurch der höheren Wahrheit, die
es nur als das Unwirkliche besitzt, berauben. Die zeitgenössischen
Leser, darunter vor allem auch der feingebildete Adressat, haben die
Absicht des Gedichtes zweifellos verstanden: kannten sie doch die
sibyllinische, auf das Jahr 40 gestellte Prophetie, die der Dichter,
wie es in allen Schöpfungen seine Art war, frei gestaltend, aber
durch die Grundvoraussetzungen gebunden, für seine Komposition
verwertete. Der Verlust der Kenntnis jener Prophetie mußte das
Verständnis des Gedichtes gefährden und die Bahn für eine Namen-
jagd freimachen, die nach dem Ausweis der alten Kommentare so
früh einsetzte, daß der Dichter sie möglicherweise noch erlebte.
Gegen solche Verkehrtheit sind wir hoffentlich dauernd gefeit
Aber der Vorstellungskreis, in den wir geführt wurden, ist so ab-
sonderlich, daß wir nichts unversucht lassen dürfen, was geeignet sein
könnte unser Einfühlen in ihn zu erleichtern. Die Helios- und Aion-
ideen, die im Mittelpunkt dieses Kreises stehen, haben nun, wenn ich
nicht irre, gerade im J. 40, dem Erscheinungsjahre der Ekloge, noch
eine weitere Spur hinterlassen.
Als die Sibylle ihre Stimme erhob: 'Der Ausbruch eines neuen
Aion steht bevor, Helios ist sein Regent, ein Kind wird geboren, in
ihm manifestiert sich das Sonnenzeitalter, es ist zum Weltherrscher
bestimmt', wird im Imperium — der Ruf dieser Prophetin, von der
Weltsprache getragen, drang über alle Lande — kein Elternpaar
gewöhnlichen Ranges dem Wahnglauben verfallen sein, dem Heilande
der Welt das Leben zu geben: denn die Sibylle hatte die Eltern des
Wunderkindes in eine Sphäre emporgehoben, in der die Schranke
zwischen Irdischem und Göttlichem fiel. Gab es dennoch im weiten
Raume des Reiches damals einen Vater und eine Mutter, deren Sinn
so hoch flog, daß sie auf solche Würde glaubten Anspruch erheben
zu dürfen? Wenn wir überhaupt zu suchen berechtigt sind, so muß
unser Blick sich gen Osten wenden, denn der Westen war damals
einer Verleihung himmlischer Glorie an Sterbliche während ihres
Erdenlebens noch wenig geneigt. Aber auch im Orient wäre nur ein
Land in Betracht zu ziehen, auf welches nach den Ergebnissen un-
serer Quellenanalysen die besonderen Voraussetzungen dieses ganzen
Vorstellungskomplexes zuträfen.
Isis mit dem Horusknäblein hatte sich uns als das Urbild aller
Mütter mit einem Segenskinde dargestellt. Hierdurch werden wir in
eine ganz bestimmte Richtung gewiesen. Nach uraltem aegyptischen