Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Österreichisches Archäologisches Institut [Editor]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

DOI article:
Schenkl, Karl: Der Georgos des Menandros
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0066

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
54

Scene angehören kann, in welcher Daos den zögernden Kleinias zum Handeln
antreibt, ist eben bemerkt worden. Sicher ist es, dass die Hauptperson des
Stückes Gorgias, von welcher dieses den Namen Georgos erhalten hat, erst dann
auftrat, als die Intrigue schon durchgeführt war und es sich um die Lösung
handelte. In welchem Zusammenhange aber Gorgias die Worte fr. 97, die ihn so
trefflich charakterisieren, gesprochen hat, bleibt für uns unklar. Er sei, so sagt er, ein
schlichter Landmann, mit den Dingen in der Stadt ganz und gar nicht bekannt, aber
sein Alter mache, dass er an richtigem Verständnis andern gegenüber etwas voraus
habe. Somit ist er ein Mann, der billigen Worten nicht unzugänglich ist.

Dagegen gehören die Bruchstücke 93, 94, 95 wohl der hochdramatischen
und pathetischen Scene an, in welcher Myrrhine gegenüber Gorgias auftritt.
Unerkannt von ihm (denn die Jahre und die Armut haben sie sehr verändert)
erzählt sie ihm, was ihrer Tochter widerfahren ist, ohne gleich den Thäter zu
nennen. Auf seine Frage, warum sie nicht versucht habe, ihr Recht geltend zu
machen, spricht sie die schönen Verse fr. 95, die so beredt die hilflose Lage des
Armen schildern. Als nun hierauf Gorgias erwidert, der Thäter werde der ver-
dienten Strafe nicht entgehen, da sich jedes begangene Unrecht räche (fr. 94),
muss sie zu dem Geständnis schreiten, dass der Verführer sein eigener Sohn sei.
Es ist begreiflich, dass der Alte da aufbraust und über das Unrecht klagt, das
man ihm angethan habe, worauf ihn Myrrhine mahnt, sich nicht von der Auf-
wallung beherrschen zu lassen (fr. 95). Doch damit ist noch nicht die Lösung
herbeigeführt. Gorgias würde nicht sofort in die Heirat eingewilligt haben; auch
musste ja über den Vater des Mädchens und über dessen bürgerliche Abstammung
die nöthige Auskunft werden. Daher gibt sich Myrrhine als jenes Mädchen zu
erkennen, das Gorgias einstens verführt und verlassen hat, und weist nach, dass
Gorgias der Vater ihrer Tochter ist. So vollzieht sich schrittweise die Lösung.

Eine solche Entwicklung ist gewiss des Menandros, der ja gerne pathetische
Scenen in seine Komödien einflocht, vollkommen würdig. Was den weiteren
Inhalt des Stückes betrifft, so ist es sehr wahrscheinlich, dass auch für die Ver-
heiratung der Tochter des Gorgias aus zweiter Ehe entsprechend gesorgt war
und somit das Stück mit einer Doppelhochzeit schloss.

Was hier vorgetragen wurde, ist freilich nichts als eine Vermuthung; aber
wie die Dinge liegen, bleibt nur dieser Weg übrig, um die Composition des Stückes
zu erklären. Und so kann ich wohl diese Blätter ruhig zur Würdigung vorlegen.

Wien, am 10. Februar 1898.

CARL SCHENKL.
 
Annotationen