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Österreichisches Archäologisches Institut [Editor]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

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Wickhoff, Franz: Der zeitliche Wandel in Goethes Verhältnis zur Antike dargelegt am Faust
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https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0120

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io8

Hause des Jeronimo Marcello in die Dresdner Gallerie gekommen war, der Phantasie
den ersten Anlass gegeben haben. Es ist das schöne, jetzt als Giorgione erkannte
Bild (Nr. 185), das Tizian nach dem frühen Tode Giorgiones vollendet hatte. In
dieser Zeit ist ihm antike Mythologie und antike Kunstform noch nicht noth-
wendig identisch. Für die natürlich fließenden Verse des Faust holt er sich die
Form aus der modernen Kunst heraus, die nun schon seit Jahrhunderten die
beliebteste und wirksamste geworden war. Später hat er sich von der volks-
thümlichen Verkörperung der antiken Schönheit abgewandt, wenn auch die
schalkhaften Worte, mit denen Julie im ,Sammler' eine solche venezianische
Venus auf die Staffelei stellt, auf die alte Neigung hindeuten.

2.

Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, als Goethe, abgesehen von dem
gelegentlichen Entwürfe der Hexenküche und einigen Änderungen bei der Aus-
gabe des Fragmentes, wieder an eine folgerichtige Arbeit am Faust gieng. Die
große Lücke des Fragmentes wurde zwischen den Jahren 1797 und 1801 und
wieder im Frühjahre 1806 ausgefüllt mit den Ereignissen der Osternacht, dem
Spaziergang vor dem Thore, den Gesprächen mit Mephistopheles. Die Prologe
und die Walpurgisnacht wurden gedichtet, anderes wie die Kerkerscene rhythmisch
vollendet und endlich mit wichtigen Scenen des zweiten Theiles begonnen. Er
hatte sich bei diesen Zusätzen und Änderungen in Sinn und Ton des Jugend-
werkes lebhaft hinein empfunden. Durch die Vertiefung des Inhaltes und die
Steigerung des künstlerischen Vermögens hatte er die Zeugnisse seiner jugend-
lichen Gestaltungskraft noch zu überbieten vermocht.

Die Weise dieser Mittelscene wollte er auch im zweiten Theile beibehalten.
Wir haben dafür ein merkwürdiges Zeugnis. Ein Blatt von Goethes Hand mit
dem Entwürfe zur ersten Erscheinung der Helena hat sich erhalten.3) Von spar-
tanischer Scenerie wie in der heutigen Helena oder auch nur von dem ver-
zauberten Schlosse in Deutschland, „dessen Besitzer in Palästina Krieg führt",
das in der Nacherzählung der Faustprojecte von 1824 erscheint, die für das vierte
Buch von Wahrheit und Dichtung bestimmt war/) ist nirgends die Rede. Die
Situation bildet eine Parallele zum Spaziergang vor dem Thore. An einem
„freundlichen Orte" im „Rheinthal", — ich suche Goethes abgerissene Worte
zu deuten und zu verbinden — an einem Teiche mit „Rohr" bewachsen, von
„Schwänen" besucht, entwickelt sich fröhliches Jahrmarkttreiben. „Tanz", das

3) W. A. 15, 2. Abth. S. 184, Paralip. 84. *) W. A. 15, 2. Abth. S. 176.
 
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