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Österreichisches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

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Wickhoff, Franz: Der zeitliche Wandel in Goethes Verhältnis zur Antike dargelegt am Faust
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https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0122

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zu den Gemsenjagden in Tirol zu segeln, mit diesen Helenascenen und mit dem
himmlischen Schlüsse, der aus dieser Zeit noch erhalten ist. Das Blatt mit der
besprochenen Seite enthält noch das bedeutende Zeugnis für einen plötzlichen
Wandel von Goethes Stilgefühl. Er hatte das Geschriebene nochmals überlesen.
Das deutsche Volksthümliche tritt zurück, der Knittelvers verschwindet, Helena
erscheint ihm als eine Königin des griechischen Theaters, und er schreibt, auch
in der Form entschlossen zu ändern, einen antiken Trimeter nieder:

„Wie hässlich neben Schönheit ist die Hässlichkeit",

den er zwar sogleich wieder durchstreicht, aber dann doch in wenig geänderter
Form „Wie hässlich neben Schönheit zeigt sich Hässlichkeit" (v. 8810) in die
neue Helena aufnimmt.

Dieser Wandel darf uns nicht überraschen. Die antike Poesie war
inzwischen ein zu mächtiger Factor in Goethes Schaffen geworden, als dass er,
sobald er an die Helena von Griechenland kam, den Faust noch im alten Stile
hätte fortsetzen können. In den Elegien, den Epigrammen, im Reinecke Fuchs
hatte er antike Versmaße verwendet. So sehr strebte seine Poesie nach einer
Renaissance der Antike, dass er den heimischen Stoff von Hermann und Doro-
thea in Hexameter zwang und damit dieses einfache und innige Gedicht, das
wie kein zweites das tiefste Wesen des deutschen Volkes wiedergibt, dem einfachen
Manne aus dem Volke unverständlich machte. Goethe war 1799, eben ein Jahr
bevor er die Helena schrieb, ernstlich an eine Fortsetzung des Homer gegangen;
ein verlorenes Gedicht des epischen Cyclus hatte er in seiner Achilleis wieder
herstellen wollen. Nun erhält im Jahre 1800, es wird wohl im September
gewesen sein, Helena ihre classische Form. Gegen dreihundert Verse schreibt
Goethe nieder, erfüllt von der Erinnerung an antike Poesie und antike Kunst.
Wenn auch nicht ein oder das andere Kunstwerk sich nachweisen lässt, das ihm
vor Augen stand, die plastische Gestaltung jeder Figur weist auf ein Erfülltsein
mit classischen Bildwerken. Emil Szanto hat nachgewiesen, dass auf die Fort-
setzung der Helena im Jahre 1825 die Beschreibungen verlorener antiker Kunst-
werke durch Pausanias und Philostratos entscheidend einwirkten.7) Zu Goethes
begeisterter Schilderung der Helena Polygnots hat seine Helena ihr gutes Theil
beigetragen, und so fand die Polygnotische Helena später in der Goethischen
ihr Spiegelbild.

Vielleicht schon früher hatte Goethe Erinnerungen an antike Kunstwerke

7) Emil Szanto, Zur Helena im Faust, Zeitschrift für österr. Gymnasien, 48. Jahrg., Wien 1897
p. 289 ff.
 
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