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Österreichisches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien — 1.1898

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Vysoký, Hynek: Archäologische Miscellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19227#0296

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Archäologische Miscellen.

1. Hermes mit dem Beutel.

S. Reinach, Pierres gravees pl. 78 n. 9 hat aus
Levesque de Gravelle eine im Cabinet Arundel be-
findliche Gemme mit der Bemerkung ,Mercure et
fcmme inconnue' wieder herausgegeben. Links steht
Hermes mit Flügelpetasos und Chlamys, in der
Rechten ein Kerykeion, mit der Linken einer ihm
zugewandten Göttin den Beutel hinhaltend. Diese
sitzt ruhig auf einem profilierten Baugliede oder
Untersatze, geschmückt wie es scheint mit einer
Stephane, bekleidet mit einem kurzärmeligen Chiton
und einem schleierartig den Kopf umhüllenden
Mantel, dessen Ende sie im Schöße mit der Linken
fasst, während die Rechte mit ausgestrecktem Zeige-
finger hoch erhoben ist. Die Erklärung bietet ein
bekanntes pompejanisches Wandgemälde, welches
im Gegensinne die Scene deutlicher wiederholt
(Heibig n. 362; Müller-Wieseler II 30, 330). Hier
ist die Göttin als Demeter charakterisiert durch die
geflochtene Ciste, auf der sie sitzt, den Ährenkranz
im Haar und die Fackel, die sie mit der Rechten
hält; mit der Linken breitet sie den Mantel im
Schöße zu einem Bausche aus, um den Beutel des
Hermes in Empfang zu nehmen. Die wesentlichen
Züge beider Darstellungen — auf dem geschnittenen
Steine wird in der Rechten der Göttin Fackel oder
Scepter ausgefallen oder unbemerkt geblieben sein —
stimmen so genau überein, dass man auf ein zu
Grunde liegendes Original geführt wird, das wohl
nur als Gemälde und sicher nicht voralexandrinisch
gedacht werden kann. Denn die Bedeutung der
Scene ist ausgesprochen allegorisch. Demeter als Erd-
göttin ist Mutter des Reichthums, der in ihren
Saaten aufsprießt, und der im alten Epos als 8ü)T7]p
säwv oder £piGÖvlö£ gefeierte Hermes konnte nur in
einer Epoche, die den Reichthum als Capital zu ver-
gegenwärtigen gewohnt war, zum Plutodotes mit dem
Beutel werden, wie er denn in den späteren, mament-
lich römischen Denkmälern weitaus am öftesten mit
diesem Attribute auftritt.

Wie Otfried Müller erkannte, scheint denselben
Gedanken eine Veroneser Grabstele auszudrücken,
die er neben dem Gemälde wiederholte (Müller-
Wieseler II 30, 329). Hier hält Hermes der auf
einem Felsen sitzenden Ge — beide sind inschrift-
lich bezeichnet — einen Gegenstand hin, in dem
Müller einen Beutel sah. Zwar hat Stark, De Tellure
dea p. 35 in diesem Gegenstande vielmehr eine

Schale vermuthet, und Dütschke IV n. 416 dies vor
dem Originale bestätigt, aber die sehr divergierenden
Deutungen, welche die Scene infolgedessen erfuhr,
— die Literatur bei Wiescler, Denkmäler der alten
Kunst, II3 S. 497 — sind insgesammt künstlich
und befriedigen nicht. Wenn die Erde Nass em-
pfängt, das ihr ein Gott hingießt, wird dies nach zahl-
reichen Analogien (vgl. Petersen, Arch.-epigr. Mitth.
IV 165) am natürlichsten im Sinne verliehener Frucht-
barkeit zu verstehen und eine Variante der näm-
lichen Vorstellung sein, welche die Übergabe des
Beutels andeutet.

Im Grunde verändert sich der Gedanke nicht,
wenn er nun auch in umgekehrter Fassung auftritt
und Hermes einer Erdgottheit den Beutel nicht gibt,
sondern ihn von ihr, wenn man will, als capitali-
sierte Ernte, zurück erhält, wie auf dem Neapeler
Prometheussarkophage, wo er von Hera einen
solchen in Empfang nimmt (Welcher, alte Denk-
mäler II Taf. XIV 26). Denn dass auf diesem durch-
weg von gelehrter Symbolik inspirierten Bildwerke,
die zwischen den Hauptgöttern von Himmel und Meer
thronende Hera einen Bezug zur Erde ausspreche,
worauf Otto Jahn zuerst hinwies, werden auch die-
jenigen nicht in Abrede stellen, welche sich der be-
rühmten Welckerschen Auffassung der Hera als Erd-
gottheit überhaupt nicht oder nur bedingt anschließen.

2. Zum sogenannten Senecakopfe.

Jeder Besucher des Palazzo Pitti, der die herr-
lichen Räume nicht allzu eilig durchschritten hat,
erinnert sich wohl des schönen Bildes von Rubens,
das Justus Lipsius darstellt, wie er vertrauten Schülern
eine Stelle aus dem vor ihm offen liegenden Buche
erklärt1). Es sind reife Männer, die seiner Rede
horchen, würdig ihres Meisters. Zu seiner Rechten
sitzt, die Feder in der Hand, Philipp Rubens.
In dem sympathischen Manne, der in einem
Buche blättert, zu seiner Linken, glaubte man Hugo
Grotius zu erkennen. Max Rooses benennt ihn aber
mit triftigeren Gründen Johannes Woverius, der
die beiden Rubens auf ihrer italienischen Reise
1602 begleitete und nebst Philipp Rubens des Lipsius
Lieblingsschüler war. Der Maler selbst stellte sich
bescheiden neben seinem Bruder beiseite, nur wie
ein zufälliger Gast den gelehrten Erörterungen der

J) M. Rooses, L'oeuvre (1c P. P. Rubens (Antwerpen
1890) Hanl IV S. 203 n. 977 Tafel 300.
 
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