Stil des Denkens.
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Die Gewißheit sodann, zu der das Suchen und Schwanken hinstrebt,
heißt stditi, wörtlich „das Stehen", das Feststehen; nachdem ver-
schiedene Meinungen diskutiert sind, wird von der richtigen gesagt:
„Dies ist die 8ttM". —
Nun aber wenden wir uns von den Auffassungen der Alten
über die Erkenntnisvorgänge zur Beschreibung ihres geistigen Ar-
beitens selbst.
Ein Arbeiten, das noch nicht auch nur zu den Anfängen von
Selbstdisziplin erwacht ist, zur Sorge darum, ob man auch richtig
gesehen, richtig gedacht hat. Der Stoff, den man behandelt, ist
wenig dazu angetan, zu solcher Bedenklichkeit zu erziehen. Er stellt
ja kein Zeugnis über die Leistung seines Bearbeiters aus, zeigt nicht
unerbittlich, wie die Probe aufs Exempel ausfällt. Und wo er es
doch einmal zeigen könnte, hat man nicht die Gesinnung, die sich
dadurch beirren ließe: wollen bei irgend einer Rechnung die Zahlen
nicht stimmen, kommt es auf etwas mehr oder weniger eben nicht
an. Vom Wirklichen schwingt man sich behende ins Unwirkliche
hinüber, schwingt sich wohl auch von dort für einen Augenblick ins
Reich der Wirklichkeit zurück* und nimmt mit Befriedigung wahr,
daß so das ganze Phantasiegebilde seine Bestätigung gefunden hat.
Man denkt nicht daran, das Wort im Zaum zu halten, damit es
so viel und nicht mehr sagt als es sagen soll; Gedanke und Wort
fliegt über das Ziel hinaus bis zum Letzten, Äußersten, spricht am
liebsten von allem Seienden, verwandelt irgend eine Beziehung,
einen Zusammenhang zweier Wesenheiten alsbald in deren Identität.
Keine Kritik Draußenstehender stört das muntere Treiben in den
Werkstätten, die sich die Priesterkaste aufgebaut und gegen den Ein-
blick Profaner erfolgreich abgesperrt hat^. Schnell bekleidet sich die
1. Man lese etwa 8L. X, 1, 1, 11: mit den Phantasien von dem un-
sterblichen Bestandteil der Speise schiebt sich die Wirklichkeit zusammen: ihr
„sterblicher" Bestandteil, der als Kot und Urin abgeht.
2. Wie die Kritik aussieht, die die Wissenden hier und da unter einander
ausüben, kann etwa durch VIII, 4, 4, 9s.; 5, 3, 8 veranschaulicht werden.
Die freie, sehr respektlose Kritik gegen die geistliche Wissenschaft, die in altbud-
dhistischer Zeit lebendig ist (s. meinen „Buddha" 193 f.), liegt noch in weitem
Felde. — Daß das priesterliche Wissen eingesteht, das und das nicht wissen zu
können, wird wohl nicht leicht vorkommen. Wenn einmal offenherzig gesagt
wird: „Wer weiß das, ob man in jener Welt (der Götterwelt) ist oder nicht ist"
(18. VI, 1, 1, 1), so bedeutet ein solches gelegentliches Hervorbrechen des natür-
Oldenberg: Weltanschauung der Brähmanntexte. 15
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Die Gewißheit sodann, zu der das Suchen und Schwanken hinstrebt,
heißt stditi, wörtlich „das Stehen", das Feststehen; nachdem ver-
schiedene Meinungen diskutiert sind, wird von der richtigen gesagt:
„Dies ist die 8ttM". —
Nun aber wenden wir uns von den Auffassungen der Alten
über die Erkenntnisvorgänge zur Beschreibung ihres geistigen Ar-
beitens selbst.
Ein Arbeiten, das noch nicht auch nur zu den Anfängen von
Selbstdisziplin erwacht ist, zur Sorge darum, ob man auch richtig
gesehen, richtig gedacht hat. Der Stoff, den man behandelt, ist
wenig dazu angetan, zu solcher Bedenklichkeit zu erziehen. Er stellt
ja kein Zeugnis über die Leistung seines Bearbeiters aus, zeigt nicht
unerbittlich, wie die Probe aufs Exempel ausfällt. Und wo er es
doch einmal zeigen könnte, hat man nicht die Gesinnung, die sich
dadurch beirren ließe: wollen bei irgend einer Rechnung die Zahlen
nicht stimmen, kommt es auf etwas mehr oder weniger eben nicht
an. Vom Wirklichen schwingt man sich behende ins Unwirkliche
hinüber, schwingt sich wohl auch von dort für einen Augenblick ins
Reich der Wirklichkeit zurück* und nimmt mit Befriedigung wahr,
daß so das ganze Phantasiegebilde seine Bestätigung gefunden hat.
Man denkt nicht daran, das Wort im Zaum zu halten, damit es
so viel und nicht mehr sagt als es sagen soll; Gedanke und Wort
fliegt über das Ziel hinaus bis zum Letzten, Äußersten, spricht am
liebsten von allem Seienden, verwandelt irgend eine Beziehung,
einen Zusammenhang zweier Wesenheiten alsbald in deren Identität.
Keine Kritik Draußenstehender stört das muntere Treiben in den
Werkstätten, die sich die Priesterkaste aufgebaut und gegen den Ein-
blick Profaner erfolgreich abgesperrt hat^. Schnell bekleidet sich die
1. Man lese etwa 8L. X, 1, 1, 11: mit den Phantasien von dem un-
sterblichen Bestandteil der Speise schiebt sich die Wirklichkeit zusammen: ihr
„sterblicher" Bestandteil, der als Kot und Urin abgeht.
2. Wie die Kritik aussieht, die die Wissenden hier und da unter einander
ausüben, kann etwa durch VIII, 4, 4, 9s.; 5, 3, 8 veranschaulicht werden.
Die freie, sehr respektlose Kritik gegen die geistliche Wissenschaft, die in altbud-
dhistischer Zeit lebendig ist (s. meinen „Buddha" 193 f.), liegt noch in weitem
Felde. — Daß das priesterliche Wissen eingesteht, das und das nicht wissen zu
können, wird wohl nicht leicht vorkommen. Wenn einmal offenherzig gesagt
wird: „Wer weiß das, ob man in jener Welt (der Götterwelt) ist oder nicht ist"
(18. VI, 1, 1, 1), so bedeutet ein solches gelegentliches Hervorbrechen des natür-
Oldenberg: Weltanschauung der Brähmanntexte. 15