Zuweilen geht es im Stadion so vielseitig
zu, daß man beim besten Willen nicht weiß,
wo man nun Hinsehen soll. Speerwerfen,
Start zu den 800-MetersVorläufen, Hoch-
springen. Ueberall wunderbare Dinge!
Hoffentlich haben am ersten Kampftag trotz
des Durcheinanders recht viele Zuschauer die
ganze Schönheit der Sprünge wahrgenommen,
die der Neger Cornelius Looper Johnson
ausführte!
Die Schönheit der Sprünge nicht
nur, sondern auch der flüchtigen Lockerungs-
übungen, ja auch des Stehens, ja auch — und
besonders — des Liegens und Rühens.
Was es mit dem Hinüberschnellen über die
Dreikantlatte auf sich hat, wird man erst er-
messen können, wenn man die Zeitlupen-
aufnahmen sieht. Da wird ein brauner Mensch
emporsteigen, langsam, und sich horizontal
legen, langsam und weich, und niedertauchen,
langsam und gelöst und gleichsam knochen-
los, wie man es sonst nur von Tieren kennt.
Johnsons Sprung über die 2,03 Meter, der
gleich beim ersten Versuch gelang, war wie der
Sprung eines Panthers. Man sagt
wohl oft so leichthin: Der Kerl springt ja wie
ein Panther. — So ist es hier nicht gemeint,
so billig und redensartlich; wenn Johnson mit
einem Panther verglichen wird, dann in einem
ZinuZ,,
Sprung. Alles an ihm springt, jedes Härten
schmiegt sich in den Sprung ein. Es gibt
nichts mehr an ihm, was sich dem Sprung
widersetzte, weder Körperliches, noch See-
lisches. Ein Panthersprung ist etwas in sich
Vollkommenes.
Und diese tierhaste, pantherhaste Voll-
kommenheit offenbart sich auch, wenn Johnson
anläuft und sich vom Boden abhebt. Sie liegt
aber auch, und das ist das Wichtige, weil Auf-
schlußreiche, in all seinem sonstigen Tun. Man
brauchte ihn am Sonntag nur einmal beim
Ausruhen zu beobachten. Die anderen
Springer hockten da und sahen ihren Kame-
raden zu. Sie kämpften im Augenblick zwar
nicht, aber sie ruhten auch nicht. Was Ruhen,
vollkommenes, letztes, hingabevollstes Ruhen
heißt, hätten sie bei Johnson sehen können.
Sein Ausruhen erstreckte sich auch auf die
Fingerspitzen, auch auf die Augen, auch auf
das Vorsichhinblicken. Man achte einmal
auf den Blick auf der Fotografie: ganz fremd,
ganz weg von hier, ganz in sich ruhend. Die
Augen nehmen wahr, aber sie fixieren nicht.
Selbst die Muskeln, die die Einstellung der
Augenlinse regeln, sind entspannt. Wenn
Johnsons Sprung etwas Pantherhaftes hat,
so hat es sein Ruhen erst recht. So ruht, so
liegt, so blickt das schöne Raubtier nach der
Jagd.
Diese Fähigkeit, sich ganz an den Sprung
und ebenso ganz an das Laufen oder Liegen
können, über die der Neger, weil
Weiße,"schasst wohl auch da^uchk zu des
bende Etwas, das über die Technik hinaus
den Sieg bewirkt. Wenn wir es Instinkt
nennen, so sind wir im Grunde nicht einen
Deut klüger. Name ist Schall und Rauch.
Die Sache selbst kennen wir nicht.
Technikund Instinkt, beide selten
so deutlich in Erscheinung tretend wie beim
Hochsprung, Wissen und Ahnen, Leben aus
dem Kopf und Leben aus dem Blut: es sind
die rätselhaften Pole der Welt, über die die
Menschheit schon so viel nachgegrübelt hat.
Die Vollendung des Wissenden, der All-
wissende, ist der Gott. Und die Vollendung
des Ahnenden, das Instinktwesen, ist das
Tier.
Die Entwicklung der Menschheit geht
zweifellos vom Ahnen zum Wissen, vom In-
stinkt zur Technik. Zunächst zeigt sich das Tier
überlegen — cs ist jetzt nur von körperlichen
Fertigkeiten die Rede —, aber langsam und
unabänderlich dringt der Mensch vor. Er
forscht, er erkennt, er weiß, er spürt Zusam-
menhänge auf, er denkt, er zieht Folge-
rungen, er schafft sich eine Technik und ver-
bessert sie unaufhörlich, und mit jeder neuen
Erkenntnis kommt er dem unendlich fernen
Ideal der Göttlichkeit einen kleinen Schritt
näher. Seit dem „SUndenfall", der ja um
der Erkenntnis willen geschah, gibt es für
den Menschen kein Zurück mehr, sondern nur
ein Vorwärts in der einmal eingeschlagenen
Richtung.
ne hauptiachllly die urugerin
Wissens — nicht des rein verstandsmäßigen
Schulwissens, sondern des bewußten Lebens —
ist, gar nicht abzusehen. Und darum haben die
coloreä MSN, entgegen gewissen pessimistischen
Prophezeiungen, keine Chance auf dieser
Welt, wenigstens nicht, soweit sie aus dem
Instinkt heraus leben und wirken. Was wir
an ihnen bewundern, die Schönheit und Voll-
kommenheit etwa von Johnsons Sprung,
stammt aus einem geistigen Zeitalter, das für
uns versunken ist für alle Ewigkeit. Johnson
lebt mit seinem Blute, mit seinem Instinkt
gewissermaßen noch im Stande der Unschuld,
im Paradies. Und wenn wir ihn da auf dem
Rasen liegen und ruhen sehen, herrlich und
edel wie ein Panther, dann regt sich wohl
tief in uns so etwas wie eine Erinnerung an
das, was einst war, an das Paradies, in dem
Mensch und Tier einträchtig miteinander
lebten. Sollen wir traurig sein über das, was
wir verloren haben? Das mag ein jeder
halten, wie er will. Wiederzugewinnen ist es
nicht. Und vor uns, Ewigkeiten noch vor uns,
winkt ein anderes Ziel, das Göttliche.
Oder ist es dasselbe? Der vollkommene Gott
und das vollkommene Tier dasselbe?
Schließt sich dort der Ring der Welt?
Es gibt eine tiefsinnige Abhandlung von
Heinrich von Kleist „Ueber das Marionetten-
Theater", eine der tiefsten Abhandlungen
überhaupt, die je geschrieben sind. Sie schließt
mit den Worten „Also müßten wir noch ein-
>om Baum der
Allerdings! Und damit beginnt das letzte
Kapitel von der Geschichte der Welt."
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Cornelius lolmson
(08^.), Olympia-
sieger 1936 mit
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Cornelius .solmson
(0.8.^.), Ol^mpie
eiiampion 1936 in
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(2.03 Meters)
Oornelius lolmson
(0.8.^c.) eliampion
ol^mpi^ue 1936
du saut en Irauteur
(2 m 03)