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Alt-Russische Kunst.
ohne das Zeugnis seiner Zeitgenossen zu erahnen, daß Rubljow die Synthese der alt-
russischen Malerei, ihre höchste Glorifikation bedeutet. Die byzantinische Malerei
kennt keinen Rubljow. Und auch die abendländische Kunst kennt kaum etwas
Ähnliches, trotzdem man ihn mit Fra Angehco — seinem Zeitgenossen — in Ver-
gleich gestellt hat. Ihr äußeres Leben — beide waren sie Mönche, beide sind nach
dem Tode selig gesprochen worden — und das Himmelsgleiche ihrer Gestalten hat
dazu verleitet. Rubljow ist aber in einem gewissen Sinne mehr als Fra Angelico,
der nur seinen persönlichen, privaten Gottesdienst zelebriert hat. Rubljow ist der
Choral, der Hymnus seines Volkes, des ganzen russischen Christentums.
Was ist es nun eigentlich, was sind das für Elemente, die dieser im Grunde doch
unbeholfenen, aber nicht „primitiv“ zu nennenden Malerei — weil sie keinen Anfang
kennt und auf formale Entwicklung bewußtermaßen Verzicht leistet — einen so stark
transzendenten, abstrakten Charakter verleiht? Eine Frage, die natürlich im Rahmen
dieser kurzen Einführung nicht erschöpfend beleuchtet und beantwortet werden
kann.
Die altrussische, die Nowgoroder Ikonenmalerei, von der die Wandmalerei gegen
Ende des 14. Jahrhunderts größtenteils abgelöst wird und von der hier nunmehr
allein die Rede ist, stellt wie jede andere Malerei eine bestimmte Kombination von
Form, Linie und Farbe in der Fläche dar, die ihren eigenen Gesetzen folgt, wobei
das Räumliche, das Dreidimensionale, ähnlich wie m der byzantinischen Malerei,
aus der sie hervorgegangen ist, und wie in der mittelalterlich-abendländischen,
eine untergeordnete Bedeutung besitzt. Ähnlich wie die gotische, kennt die alt-
russische Malerei nur eine begrenzte, eine relative Tiefenwirkung, und strebt — in
der gleichen Weise — weder in die Bildtiefe hinein, noch aus der Fläche heraus.
Sie bedeutet somit eine Art Zwischenstufe zwischen der Flächenmalerei des Orients
und der abendländischen Tiefenmalerei seit der Renaissance.
Das rein formale Element überwiegt in der altrussischen Malerei bei weitem
das gegenständliche. Sie kennt keine starke innere Bewegung wie die Gotik. Die
religiöse Darstellung ist niemals Vorwand für das Anbringen von Gefühlsmomenten
und noch weniger von Detail, von Literatur, wie im mittelalterlichen Quattrocento
oder m der gleichzeitigen altdeutschen oder vlämischen Malerei. Sie läßt die dar-
gestellten Personen in ihrer bewegungslosen byzantinischen Statuarik, in ihrer Ad-
dition beharren und wagt es nicht ihr Sein durch Hinzutun von persönlichen Emo-
tionen zu stören. Daher kommt es wohl, daß die altrussische Ikonenmalerei weit
über das Mittelalter hinaus in ihren Hintergründen zäher als jede andere freierfundene
Architekturen, Landschaften, Bäume und Felsen anbringt, wie sie in dieser Welt nicht
existieren und die sie immer weiter als traditionelle, künstlerische Idee rein akzes-
sorisch behandelt.
Zu den weiteren Merkmalen der altrussisch en Malerei gehört fernerhin eine ganz
besondere — durch die häufige Wiederholung em und derselben Vorlage und daraus
Alt-Russische Kunst.
ohne das Zeugnis seiner Zeitgenossen zu erahnen, daß Rubljow die Synthese der alt-
russischen Malerei, ihre höchste Glorifikation bedeutet. Die byzantinische Malerei
kennt keinen Rubljow. Und auch die abendländische Kunst kennt kaum etwas
Ähnliches, trotzdem man ihn mit Fra Angehco — seinem Zeitgenossen — in Ver-
gleich gestellt hat. Ihr äußeres Leben — beide waren sie Mönche, beide sind nach
dem Tode selig gesprochen worden — und das Himmelsgleiche ihrer Gestalten hat
dazu verleitet. Rubljow ist aber in einem gewissen Sinne mehr als Fra Angelico,
der nur seinen persönlichen, privaten Gottesdienst zelebriert hat. Rubljow ist der
Choral, der Hymnus seines Volkes, des ganzen russischen Christentums.
Was ist es nun eigentlich, was sind das für Elemente, die dieser im Grunde doch
unbeholfenen, aber nicht „primitiv“ zu nennenden Malerei — weil sie keinen Anfang
kennt und auf formale Entwicklung bewußtermaßen Verzicht leistet — einen so stark
transzendenten, abstrakten Charakter verleiht? Eine Frage, die natürlich im Rahmen
dieser kurzen Einführung nicht erschöpfend beleuchtet und beantwortet werden
kann.
Die altrussische, die Nowgoroder Ikonenmalerei, von der die Wandmalerei gegen
Ende des 14. Jahrhunderts größtenteils abgelöst wird und von der hier nunmehr
allein die Rede ist, stellt wie jede andere Malerei eine bestimmte Kombination von
Form, Linie und Farbe in der Fläche dar, die ihren eigenen Gesetzen folgt, wobei
das Räumliche, das Dreidimensionale, ähnlich wie m der byzantinischen Malerei,
aus der sie hervorgegangen ist, und wie in der mittelalterlich-abendländischen,
eine untergeordnete Bedeutung besitzt. Ähnlich wie die gotische, kennt die alt-
russische Malerei nur eine begrenzte, eine relative Tiefenwirkung, und strebt — in
der gleichen Weise — weder in die Bildtiefe hinein, noch aus der Fläche heraus.
Sie bedeutet somit eine Art Zwischenstufe zwischen der Flächenmalerei des Orients
und der abendländischen Tiefenmalerei seit der Renaissance.
Das rein formale Element überwiegt in der altrussischen Malerei bei weitem
das gegenständliche. Sie kennt keine starke innere Bewegung wie die Gotik. Die
religiöse Darstellung ist niemals Vorwand für das Anbringen von Gefühlsmomenten
und noch weniger von Detail, von Literatur, wie im mittelalterlichen Quattrocento
oder m der gleichzeitigen altdeutschen oder vlämischen Malerei. Sie läßt die dar-
gestellten Personen in ihrer bewegungslosen byzantinischen Statuarik, in ihrer Ad-
dition beharren und wagt es nicht ihr Sein durch Hinzutun von persönlichen Emo-
tionen zu stören. Daher kommt es wohl, daß die altrussische Ikonenmalerei weit
über das Mittelalter hinaus in ihren Hintergründen zäher als jede andere freierfundene
Architekturen, Landschaften, Bäume und Felsen anbringt, wie sie in dieser Welt nicht
existieren und die sie immer weiter als traditionelle, künstlerische Idee rein akzes-
sorisch behandelt.
Zu den weiteren Merkmalen der altrussisch en Malerei gehört fernerhin eine ganz
besondere — durch die häufige Wiederholung em und derselben Vorlage und daraus