Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Orchideengarten

Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl

Zweiter Jahrgang

A Schriftleiter Alf von Czibulka

Zwanzigstes Heft

AUS DER DÄMONEN CHRONIK

Von Hans Reisiger. (Mit vier Zeichnungen von Otto Linnetogel.)

m Verlaufe des bebenden
Jahrhunderts, das als das 17.
gezählt wird und das durch
den 30jährigen Krieg bis in
die Tiefen zerfressen war,
brachen, wie in andere Land-
striche, so auch in die Sonne des leicht erhitzten
südlichen Frankreichs die Schlagschatten einer
dämonischen Unterwelt mit erneuter Gewalt
ein und verfinsterten die hochmütigen wie die
verzagten Geister. Nicht selten suchten sich
diese Mächte der Nacht ihr Einbruchstor durch
die Seele entarteter Priester.

In der schönen Provence lebte der angehende
Gottesdiener Louis Goffredy von Beauvezer
im Hause seines alten Onkels. In der Bücherei
dieses gelehrten Mannes hatte er eines Tages
ein umfangreiches Werk über Magie entdeckt,
über das er sich heimlich hermachte. Nach-
dem er viele Nächte darüber gebückt gesessen,
fand er sich versucht, die Macht seiner Sprüche
zu erproben. Nach einigen mißglückten Ver-
suchen war in der Schwüle einer Sommernacht
vor seinen überreizten Sinnen plötzlich in der
Tat der besprochene Geist der Finsternis in
noch undeutlicher Gestalt erschienen und hatte
sich, halb zudringlich, halb widerstrebend, auf
eine Unterredung mit ihm eingelassen. Er hatte
dem Entsetztbeglückten alle Bedenklichkeiten
gegen einen Bund mit ihm ausgeredet und
schließlich sich auf die Abmachung geeinigt,
daß er gegen die dreifache Hingabe seines
Leibes, seiner Seele und aller seiner Handlungen
ihm auch Dreifaches gewähren wolle: er werde
der Geehrteste aller Priester in der Provence

werden, er werde ein 34 Jahre dauerndes Leben
ohne Krankheit noch sonstige Beschwer haben,
und, endlich und vorzüglich, alle W^eiber wür-
den durch den Anhauch seines Atems in Liebe
für ibn entzündet werden.

Diesen Pakt wie einen finster funkelnden
Schatz in der Brust tragend, war Goffredy
alsbald nach Marseille gegangen, wo er ein
Benefizium an der Kirche des Accoules erhielt.
Es währte nicht lange, so erfüllte sich die ganze
Gegend mit dem Ruf seiner Heiligkeit. Alle
Frauen, von dem Geruch solcher jungmänn-
lichen Gnadengaben angelockt, drängten sich
zu seinem Beichtstuhl, und so fand sich unver-
weilt die üppigste Gelegenheit zur Erfüllung
des anderen, süßeren Versprechens des Dämo-
nenfürsten, da er nun Muße hatte, den Zauber
seines Atems auf die schönsten der frommen
Opfer anzuwenden, mit solchem Erfolge, daß
die gesamte W^eiberwelt von Marseille und
Umgegend nach und nach in Flammen gesetzt
wurde.

Es handelte sich bei diesen unheiligen Aben-
teuern jedoch nicht um vergnügliche Schäfer-
spiele, sondern vielmehr verstrickte der halb
schlaue, halb selbst besessene Mystagoge in
kurzer Zeit seine Opfer tief in die dämoni-
schen Bereiche und rief in ihren Seelen und
Sinnen Wahn weiten voll finsterer, wollüstiger
Phantastik wach, die sie mit höhnischer Wild-
heit in eine höllische Sklaverei hetzten, von
deren brennendem Reiz alle natürlichen Freu-
den dieser W^elt schal wurden, und die zumeist
mit der völligen Zerstörung der geistigen Ge-
sundheit des Opfers endeten.

I
 
Annotationen