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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0010
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Starrkrampf erwachte und, sich des vorüber-
gegangenen Zustandes völlig unbewußt, den
Grafen versicherte, wie sie der Antrag, einige
Zeit auf dem Schlosse zu verweilen, hoch ehre
und alles Unrecht, das ihr sein Vater an-
getan, mit einemmale vergessen lasse. So hatte
sich nun plötzlich der Hausstand des Grafen
verändert, und er mußte glauben, daß ihm eine
besondere Gunst des Schicksals die Einzige auf
dem ganzen Erdenrund zugeführt, die als heiß-
geliebte, angebetete Gattin ihm das höchste
Glück des irdischen Seins gewähren könne.
D as Betragen der alten Baronesse blieb sich
gleich, sie war still, ernst, ja in sich ver-
schlossen, und zeigte, wenn es die Gelegenheit
gab, eine milde Gesinnung und ein jeder un-
schuldigen Lust erschlossenes Herz. Der Graf
hatte sich an das in der Tat seltsam gefurchte,
totenbleiche Antlitz, an die gespenstische Ge-
stalt der Alten gewöhnt, er schrieb alles ihrer
Kränklichkeit zu, sowie dem Hange zu düstrer
Schwärmerei, da sie, wie er von seinen Leuten
erfahren, oft nächtliche Spaziergänge durch
den Park nach dem Kirchhofe zu machte. Er
schämte sich, daß das Vorurteil des Vaters ihn
so habe befangen können, und die eindring-
lichsten Ermahnungen des alten Oheims, das
Gefühl, das ihn ergriffen, zu besiegen und ein
Verhältnis aufzugeben, das ihn über kurz oder
lang ganz unvermeidlich ins Verderben stürzen
werde, verfehlten durchaus ihre Wirkung.
Von Aureliens innigster Liebe auf das leb-
hafteste überzeugt, bat er um ihre Hand, und
man kann sich denken, mit welcher Freude die
Baronesse, die sich aus tiefer Dürftigkeit ge-
rissen im Schoße des Glücks sah, diesen An-
trag aufnahm. Die Blässe und jener besondere
Zug, der auf einen schweren, innern, unüber-
windlichen Gram hindeutet, waren verschwun-
den aus Aureliens Antlitz, und die Seligkeit der
Liebe strahlte aus ihren Augen, schimmerte
rosig auf ihren Wangen. Am Morgen des
Hochzeitstages vereitelte ein erschütternder
Zufall die Wunsche des Grafen. Man hatte
die Baronesse im Park unfern des Kirchhofes
leblos am Boden, auf dem Gesichte liegend,
gefunden und brachte sie nach dem Schlosse
eben als der Graf aufgestandenund im Wonne-
gefühl des errungenen Glückes hinausschaute.
Er glaubte die Baronesse nur von ihrem ge-
wöhnlichen Übel befallen; alle Mittel, sie

wieder zurückzurufen ins Leben, blieben aber
vergeblich, sie war tot. Aurelie üherließ
sich weniger den Ausbrüchen eines heftigen
Schmerzes als daß sie verstummt, tränenlos
durch den Schlag, der sie getroffen, in ihrem
innersten Wesen gelähmt schien. Dem Grafen
bangte für die Geliebte, und nur leise und be-
hutsam wagte er es, sie an ihr Verhältnis als
gänzlich verlassenes Kind zu erinnern, welches
erfordere, das Schickliche aufzugeben, um das
noch Schicklichere zu tun, nämlich des Todes
der Mutter unerachtet den Hochzeitstag soviel
als nur möglich zu beschleunigen. Da fiel aber
Aurelie dem Grafen in die Arme und rief,
indem ihr ein Tränenstrom aus den Augen
stürzte, mit schneidender, das Herz durch-
bohrender Stimme: „Ja, — ja! um aller Hei-
ligen, um meiner Seligkeit willen, ja! — “
Der Graf schrieb diesen Ausbruch innerer
Gemütsbewegung dem bitteren Gedanken zu,
daß sie verlassen, heimatlos nun nicht wisse
wohin, und auf dem Schlosse zu bleiben doch
der Anstand verbiete. Er sorgte dafür, daß
Aurelie eine alte, würdige Matrone zur Ge-
sellschafterin erhielt bis nach wenigenWochen
aufs neue der Hochzeitstag herankam, den
weiter kein böser Zufall unterbrach, sondern
der Hyppolits und Aureliens Glück krönte.
Aurelie hatte sich indessen immerwährend in
einem gespannten Zustand befunden. Nicht der
Schmerz über den Verlust der Mutter, nein,
eine innere, namenlose, tötende Angst schien
sie rastlos zu verfolgen. Mitten im süßesten
Liebesgespräch fuhr sie plötzlich, wie von
jähem Schreck erfaßt, zum Tode erbleicht auf,
schloß den Grafen, indem ihr Tränen aus den
Augen quollen, in ihre Arme, als wolle sie sich
festhalten, damit eine unsichtbare feindliche
Macht sie nicht fortreiße ins Verderben und
rief; „Nein, — nimmer — nimmer! " Erst jetzt,
da sie verheiratet mit dem Grafen, schien der
gespannte Zustand auf gehört, jene innere ent-
setzliche Angst sie verlassen zu haben. Es
konnte nicht fehlen, daß der Graf irgendein
böses Geheimnis vermutete, von dem Aureliens
Inneres verstört, doch hielt er es mit Recht für
unzart, Aurelien danach zu fragen, solange ihre
Spannung anhielt und sie selbst darüber
schwieg. Jetzt wagte er es, leise darauf hin-
zudeuten, was wohl die Ursache ihrer selt-
samen Gemütsstimmung gewesen sein möge.
 
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