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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0012
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dem Schlafe erwacht, ein furchtbarer Tumult
im Hause entstand. Türen wurden auf- und
zugeworfen, fremde Stimmen riefen durch-
einander. Endlich, als es stiller geworden,
nahm die Wärterin Aurelien auf den Arm
und trug sie in ein großes Zimmer wo viele
Menschen versammelt; in der Mitte auf
einem langen Tisch ausgestreckt lag aber der
Mann, der oft mit Aurelien gespielt, sie mit
Zuckerwerk gefüttert, und den sie Papa ge-
nannt. Sie streckte die Händchen nach ihm
aus und wollte ihn küssen. Die sonst war-
men Lippen waren aber eiskalt, und Aurelie
brach, selbst wußte sie nicht warum, aus in
heftiges Weinen. Die^Värterin brachte sie in
ein fremdes Haus, wo sie lange Zeit verweilte,
bis endlich eine Frau erschien und sie in einer
Kutsche mitnahm. Das war nun ihre Mutter,
die bald darauf mit Aurelien nach der Resi-
denz reiste. Aurelie mochte ungefähr sech-
zehn Jahre alt sein, als ein Mann bei der Baro-
nesse erschien, den sie mit Freude und Zu-
traulichkeit empfing, wie einen alten, geliebten
Bekannten. Er kam oft und öfter, und bald
veränderte sich der Hausstand der alten Baro-
nesse auf sehr merkliche Weise. Statt daß sie
wie sonst in einem Dachstübchen gewohnt und
sich mit armseligen Kleidern und schlechter
Kost beholfen, bezog sie jetzt ein hübsches
Quartier in der schönsten Gegend der Stadt,
schaffte sich prächtige Kleider an, aß und trank
mit dem Fremden, der ihr täglicher Tischgast
war, vortrefflich und nahm teil an allen öffent-
lichen Lustbarkeiten, wie sie die Residenz
darhot. Nur auf Aurelien hatte diese Ver-
besserung der Lage ihrer Mutter, die diese
offenbar dem Fremden verdankte, gar keinen
Einfluß. Sie blieb eingeschlossen in ihrem Zim-
mer zurück, wenn die Baronesse mit dem
Fremden dem Vergnügen zueilte, und mußte
so armselig einhergehen als sonst. Der Fremde
hatte, unerachtet er wohl beinahe vierzig Jahre
alt sein mochte, ein sehr frisches, jugendliches
Ansehen, war von hoher, schöner Gestalt, und
auch sein Antlitz mochte männlich schön ge-
nannt werden. Demunerachtet war er Aure-
lien widrig, weil oft sein Benehmen, schien er
sich auch zu einem vornehmen Anstand zwin-
gen zu wollen, linkisch, gemein, pöbelhaft
wurde. Die Blicke, womit er aber Aurelien
zu betrachten begann, erfüllten sie mit un-

heimlichem Grauen, ja mit einem Abscheu,
dessen Ursache sie sich seihst nicht zu erklären
wußte. Nie hatte bisher die Baronesse es der
Mühe wert geachtet, Aurelien auch nur ein
Wort über den Fremden zu sagen. Jetzt nannte
sie Aurelien seinen Namen mit dem Zusatz,
daß der Baron steinreich und ein entfernter
Verwandter sei. Sie rühmte seine Gestalt,
seine Vorzüge und schloß mit der Frage: wie
er Aurelien gefalle ? Aurelie verschwieg nicht
den inneren Abscheu, den sie gegen den Frem-
den hegte, da blitzte sie aber die Baronesse
an mit einem Blick, der ihr tiefen Schreck ein-
jagte, und schalt sie ein dummes, einfältiges
Ding. Bald darauf wurde die Baronesse freund-
licher gegen Aurelien, als sie es jemals gewe-
sen. Sie erhielt schöne Kleider, reichen, mo-
dischen Putz jeder Art, man ließ sie teilnehmen
an den öffentlichen Vergnügungen. Der Fremde
bemühte sich nun um Aureliens Gunst auf
eine Weise, die ihn nur immer widerwärtiger
ihr erscheinen ließ. Tödlich aber wurde ihr
zarter jungfräulicher Sinn berührt, als ein böser
Zufall sie geheime Zeugin sein ließ einer em-
pörenden Abscheulichkeit des Fremden und
der verderbten Mutter. Als nun einige Tage
darauf der Fremde in halbtrunkenem Mut sie
auf eine Art in seine Arme schloß, daß die
verruchte Absicht keinem Zweifel unterwor-
fen, da gab ihr die Verzweiflung Manneskraft,
sie stieß den Fremden zurück, daß er rücklings
überstürzte, entfloh und schloß sich in ihr
Zimmer ein. Die Baronesse erklärte Aurelien
ganz kalt und bestimmt, daß, da der Fremde
ihren ganzen Haushalt bestritte und sie gar
nicht Lust habe, zurückzukommen in die alte
Dürftigkeit, hier jede alberne Ziererei ver-
drießlich und unnütz sein werde: Aurelie
müsse sich dem Willen des Fremden hingeben,
der sonst gedroht, sie zu verlassen. Statt auf
Aureliens wehmütiges Flehen, statt auf ihre
heißen Tränen zu achten, begann die Alte, in
frechem Spott laut auf lachend, über ein Ver-
hältnis, das ihr alle Lust des Lebens erschließen
werde, auf eine Art zu sprechen, deren zügel-
lose Abscheulichkeit jedem sittlichen Gefühl
Hohn sprach, so daß Aurelie sich davor ent-
setzte. Sie sah sich verloren, und das einzige
Rettungsmittel schien ihr schleunige Flucht.
Aurelie hatte sich den Hausschlüssel zu ver-
schaffen gewußt, die wenigen Habseligkeiten,

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