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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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Zweites Heft (Moden und Masken)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0039
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Peter Bruegel / Zwei Karnevalsnarren.

ihrem Einfluß. Die Zwistigkeiten, die unter
den Nachfolgern Alexanders von Mazedonien
enstanden, jene Zwistigkeiten, die ganz Grie-
chenland mit Schrecken und Blut erfüllten,
lenkten vollends jede Aufmerksamkeit von ihr
ah und man zwang die Göttin, sich einen neuen
Zufluchtsort zu suchen: und so siedelte sie
denn nach Rom über.
In Rom wurde sie übel empfangen. Ihre
allzu weichlichen Sitten und ihre viel zu freie
Lebensart wollten den strengen Republikanern
ganz und gar nicht gefallen. Etwas besser ging
es ihr zurZeit der Triumviren, aber auch nicht
gerade sehr viel besser: ungezügeltes Laster
widersprach ebensosehr ihrem Wesen wie
die übermäßig strengen Lebensgewohnheiten.
Die barbarischen Stämme, die nachmals Rom
eroberten, verjagten sie endlich aus der Haupt-
stadt des Weltalls. Von hier ab wird ihre
Geschichte dunkel; zwar behaupten einige,
daß sie bis zu ihrer Rückkehr nach Europa
Asien und Afrika durchzogen hätte, andere
hingegen beschwören, sie hätte diese Zeit in der

Einsamkeit zugebracht und nur darauf geson-
nen, die Mittel für ihre zukünftige Größe zu
erfinden.
Wie dem auch immer sei, jedenfalls sah das
XVIII. Jahrhundert sie prunkvoll in Italien
und in Frankreich mit ihrer jungen und be-
zaubernden Tochter ihren Einzug halten, die
ihrer Mutter in Unbeständigkeit, Launenhaftig-
keit und Geschicklichkeit in nichts nachstand:
und diese Tochter war — die Mode. Gleich
Jupiter, dem Vater der Pallas, empfing die
Göttin sie in ihrem Haupte und wurde ebenso
glücklich von ihr entbunden. Die Völker be-
grüßten sie mit Jubel. Tempel wurden ihr er-
richtet, und Opfer wurden ihr dargebracht.
Und erfreut vom Eifer, den die Gallier zeig-
ten, ließ die Göttin sich endgültig unter ihnen
nieder.
An den Ufern der Seine erhebt sich inmitten
eines prächtigen Parkes ihr großstädtischer
Tempel. Gewundene Kolonnen aus Gold tra-
gen seine Kuppeln. Auf den Basreliefs sind
verschiedene zweideutige Allegorien zu sehen,

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