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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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Viertes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0082
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blaßte, und die dämonische Gestalt in ihm
schien zu verschwinden, sich in Schnee und
Sturm aufzulösen und dort — die Laterne des
rettenden Asyls — heller und näher grüßte sie
jetzt durch das Wetter. Doch Himmel! —
Da flackerte es ja schon wieder zwischen den
Hälsen der Pferde, und er war wieder da, er
war wohl gar nicht verschwunden — er lief
immerzu mit —, und jetzt wußte ich es: er
wollte mich auf halten, er wollte mich nicht
ans Ziel gelangen lassen. — Wieder hohen sich
seine Arme, wieder griff er in die Nüstern,
in die Augen der schnaubenden Renner. Und
wieder bäumten sie sich, wilder noch als das
erste Mal. Ein Grinsen schien das häßliche,
verzerrte Gesicht des Dämons zu überfliegen.
Mit unmenschlicher Kraft hielt er die rasenden
Tiere auseinandergestemmt, bog die Köpfe nach
rückwärts, immer weiter. —
„Zur Hölle mit dir!“ schrie ich, die Lähmung
meiner Kehle überwindend — „in Christi
Namen — zur Hölle mit dir, du Satan!“
Er schien meine Beschwörung vernommen
zu haben. Seine Arme sanken herab. Die
Pferde kamen wieder auf den Boden. Das
gespenstische Licht verschwand wieder. Die
Erscheinung mit ihm. Ich atmete auf, trieb die
Pferde mit beruhigendem Zurufen zum Wei-
terlaufen an. Sie zogen. Wir fuhren wieder,
kamen vorwärts. Gerettet! dachte ich. Doch
nein, nein, in der nächsten Sekunde sah ich ihn
zum dritten Male, und jetzt — krümmte er sich
im Laufe zusammen — kroch unter den Zügeln
durch — kam geduckt zwischen den Leibern
der Pferde herangeschlichen — er reckte sich
vor mir auf — schien mich vom Bock reißen
zu wollen. — Rasch erhob ich mich. Und ich
drehte die Peitsche um, beugte mich, die Zügel

anspannend, vor und schlug mit dem eisenbe-
schlagenen Stielende ein-, zwei-dreimal wie
toll in das grinsende, fletschende, diabolische
Gesicht über die Stirn, die weitaufgerissenen
Augen — — —
Dann sank ich zurück — und verlor das
Bewußtsein.

Als ich wieder zu mir kam, hielt der
Schlitten vor einem kleinen, einstöckigen Hause.
Eine kleine Laterne schaukelte über dem halb-
offenen Eingang flackernd hin und her. Ich
hörte eine Stimme. Jemand trat an den Schlitten
und begrüßte mich.
„Wo sind wir?“ fragte ich. „Was ist ge-
schehen ?“
„Treten Sie nur ein, Herr, in die Schenke
,Zum Abendstern'“, lud mich der Knecht mit
ergebenen Bücklingen ein.
„,Zum Abendstern?'“ murmelte ich verloren.
„Dann bin ich ja am Ziel, dann ist ja mein
Schloß in der Nähe —Gott sei Dank! — Ich bin
Fürst Niglinsky, wir haben uns im Schnee-
sturm verirrt.“
Ich stieg ab, und wie im Traum schritt ich
durch das Tor in das Innere der Schenke. Der
Knecht stützte mich.
„Kein Licht ist noch da,“ lamentierte er,
„Euer Hoch wohlgeboren müssen verzeihen und
ein wenig im Finstern sitzen, bis ich die Lampe
gerichtet habe.“
Wir traten in die Wirtsstube. Mein Führer
löste mich aus dem Pelz und half mir, auf einer
Bank in der Nähe des Fensters Platz zu neh-
men. Ich war halbtot. Wassil fiel mir ein. Ich
gab dem Burschen, der besorgt neben mir stand,
Befehl, auch meinen Diener hereinzuschafifen.
Er verbeugte sich und ging.

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