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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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Fünftes Heft (Hahnreie)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0103
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Der Orchideengarten
Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strob 1

Dritter Jahrgang


Schriftleiter Alf von Czibulka

Fünftes Heft

DER BELEHRTE LI E B E S S C H U LM E I STE R
Nach dem Italienischen des Ser Giovanni (um 1378). Bearbeitet von Eduard von Bölow.
(Mit drei Zeichnungen von Karl Ritter.)

n der Familie der Savelli in
Rom gab es zwei Freunde
und Verwandte, deren einer
Bucciolo, der andere Pietro
Paolo hieß, und die beide
wohl geboren und mit Glücks-
gütern gesegnet waren. Die-
sen kam es in den Sinn, nach Bologna zu ge-
hen, um da zu studieren, und der eine wollte
sich dem geistlichen, der andere dem welt-
lichen Rechte widmen, weshalb sie denn von
den Ihrigen Abschied nahmen und sich auf
die genannte Universität begaben, wo sie sich
eine geraume Zeit lang ihrer Studien beflei-
ßigten. Da nun das geistliche Recht von
minderem Umfange ist als das weltliche, so
lernte Bucciolo, der jenes hörte, früher aus als
Pietro Paolo mit diesem. Er wurde entlassen
und sagte zu seinem Freunde, er kehre nach
Hause zurück. Pietro Paolo erwiderte ihm:
„Ich bitte dich, Bruder, laß mich hier nicht
allein und warte den ^Vinter über auf mich,
so gehen wir zum Frühlinge miteinander heim.
Du magst inzwischen irgendeine andere Wis-
senschaft erlernen und brauchst ja deswegen
deine Zeit nicht zu verlieren“; mit welchem
Vorschläge zufrieden, Bucciolo wartete.
Hierauf trug es sich zu, dal? Bucciolo, um
seine Zeit nicht zu verlieren, zu seinem Lehrer
ging und zu ihm sagte: „Ich habe mir vorge-
nommen, hier noch auf meinen Freund und
Verwandten zu warten und möchte gerne, dal?
du mich mittlerweile in irgendeiner anderen

schönen Wissenschaft unterwiesest.“ — Der
Lehrer antwortete, dal? er dazu bereitwillig
sei,und bat den Schüler, ihm nur die Wissen-
schaft zu nennen, die er erlernen möge. —
Bucciolo sprach : „Lieber Meister, ich lernte
gern, wie und auf welche Weise man sich
verliebt.“ — Der Meister erwiderte fast
lachend: „Das ist recht hübsch von dir, und
du hättest keineWissenschaft erwählen können,
mit der ich mehr als mit eben dieser zufrieden
wäre. Geh nur nächsten Sonntag früh in die
Kirche der Minoriten, wenn alle Frauen dort
versammelt sind,und sieh zu, ob darunter eine
ist, die dir gefällt; hast du sie gefunden, so folge
ihr bis zu ihrer Wohnung und komme alsdann
wieder zu mir; das soll deine erste Lektion
sein, die ich dir aufgebe.“ — Bucciolo ging,
fand sich des kommenden Sonntags morgens
bei den frommen Brüdern ein, wie sein Lehrer
ihm geheißen hatte, und musterte die anwesen-
den zahlreichen Frauen so lange mit seinen
Augen durch, bis er unter ihnen eine wahrnahm,
deren große Schönheit ihn bald vorzugsweise
reizte. Als die Dame aus der Kirche ging, ging
ihr Bucciolo bis zu ihrer Wohnung nach, die er
sich merkte,und dieDame sah ihrerseits, daß der
Student sich in sie verliebt hatte. Bucciolo ging
zu seinem Lehrer zurück und sagte: „Ich habe
getan, was Ihr mir anrietet, und eine gefunden,
die mir wohlgefällt.“— Der Meister hatte darob
eine ungemeine Freude und verspottete den
unerfahrenen Bucciolo mit seiner Wissenschaft
und Lernbegierde, indem er zu ihm sagte: „Du


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