GREENE WIRD RASIERT
Eine moralische Geschichte von Florens. (Mit einer Initiale von Max Leidlein.)
ine Hahnreigeschichte?
Aratow lächelte breit.
„Können Sie haben.
Warum nicht? Aber es
wird eine umgekehrte Ge-
schichte. Verstehen Sie?
„Nein.“
„Ich finde es langweilig,
dal? diese törichten jungen
Leute, die, glattrasiert, un-
sere nettesten Ehen kaput machen, dal? die
ewig gut davonkommen sollen. Leider ist es
im Leben häufig so. Aber manchmal . . .
Sie kennen doch Budapest? Eine unmög-
liche Stadt! Eigentlich schon keine Stadt mehr,
sondern ein Etablissement. Menschen, die dort
waren, erzählen geradezu phantastische Ge-
schichten. Fragen Sie einmal, wenn Sie nach
München kommen sollten, Eliasberg: er hat
über ein Jahr lang dort gelebt... Ich mußte im
vorigen Jahr aus einem Grunde, der eigent-
lich kaum einer war, dorthin reisen und ver-
brachte drei Wochen im Hotel. Drei lang-
weilige Wochen. Desto kurzweiliger jedoch
wurden die letzten Tage.
Es gibt im Grunde genommen nur drei Ho-
tels in Budapest: das Ritz, das Hungaria und
das Astoria. Im letzteren fand ich ein kleines
widerwärtiges Zimmer, denn ich hatte viel zu
spät telegraphiert. Budapest war übervoll.
Auf jedem Schritt begegneten Sie einem Fran-
zosen oder einem Amerikaner: in meinem Ho-
tel herrschte eine babylonische Sprachver-
wirrung, deren einziger fester Punkt der Por-
tier des Hotels war, der einfach alle Sprachen
zu können schien und ebenso meisterhaft mit
Herrn Popowitsch aus Belgrad wie mit Mister
Greene aus Boston sprach. Und hinter beiden
her dieses unangenehme süffisante Ungarn-
lächeln lächelte. (Obwohl er recht hatte!)
Mich konnte er nicht leiden. Schriftsteller
und Russe — kamen ihm da Reminiszenzen
aus Ungarns Bolschewistenzeit, oder wareü
meine zwei nicht sehr feudalen Lederkoffer
daran schuld? Er sprach mit mir kaum. Und
doch war ich im Irrtum, wie es sich später
herausstellte: eigentlich mochte er von allen
seinen Klienten nur mich. So kann man sich
täuschen, was?
Es war Hochsommer. Denken Sie mal!
August in Budapest! Eine Hitze hatte es, und
ich kam aus Berlin, wo es um diese Zeit ziem-
lich kalt war. Mein Lieber, es war eine Kata-
strophe! Ich war einfach zu warm angezogen.
— Kurz und gut, so wohnte ich denn im Asto-
ria, und die Tage wollten und wollten nicht
vorübergehen, und es waren immer die glei-
chen Leute, die morgens in der Hotelhalle her-
umstanden und abends im Restaurant des Ho-
tels ihre Mahlzeiten einnahmen. Lächeln Sie
nicht! Tatsächlich, sie nahmen ihre Mahlzeiten
ein, denn haben Sie schon jemals einen Ungarn
essen gesehen? Mit Schaudern denke ich an die
Wassermelonen zurück. Ich kann seit der
Zeit keine ^Vassermelonen mehr sehen.
Eines Morgens, als ich mich wieder über
den Portier geärgert hatte, denn er wollte mir
nicht erklären, wo der Ferencz Jöszef Rakpart
sei, bemerkte ich einen neuen Hotelgast und
wußte sofort, daß es ein Amerikaner war.
Welcher andere Mensch auf Gottes Erdboden,
frage ich Sie, vermag so die Hände in den
Hosentaschen zu halten? Er trug weiße Ten-
nishosen und einen blauen Rock, und ich är-
gerte mich doppelt, denn ich hatte keine wei-
ßen Hosen mitgenommen. Er sah auf die
Straße und rauchte seine kurze Pfeife und
spuckte gelegentlich aus. Wie alt er war,
konnte ich nicht feststellen: jung war er nicht.
Sagen wir einmal 40 Jahre. Es war recht ärger-
lich, denn ich hätte gerne, da er mich irgend-
wie interessierte, den Portier nach seinem
Namen gefragt; aber fragen Sie einmal einen
Portier, der Ihnen nicht einmal Auskunft gibt,
wo der Ferencz Jözsef Rakpart zu finden ist.
Ich betrachtete meinen Amerikaner eingehend
und nannte ihn Uncle Sam, obwohl er gar nicht
wie der liebe, gute, alte, hagere, ziegenbärtige
Uncle Sam aussah. Er war nämlich rasiert
und trug dazu einen kleinen — wie nennt man
es nur — englischen Schnurrbart, glaube ich.
Und sah sehr gutmütig aus; sicher ein Mann,
der gut zu Frauen war, und Geld hatte er be-
stimmt auch. Obwohl, Sie wissen ja: was
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Eine moralische Geschichte von Florens. (Mit einer Initiale von Max Leidlein.)
ine Hahnreigeschichte?
Aratow lächelte breit.
„Können Sie haben.
Warum nicht? Aber es
wird eine umgekehrte Ge-
schichte. Verstehen Sie?
„Nein.“
„Ich finde es langweilig,
dal? diese törichten jungen
Leute, die, glattrasiert, un-
sere nettesten Ehen kaput machen, dal? die
ewig gut davonkommen sollen. Leider ist es
im Leben häufig so. Aber manchmal . . .
Sie kennen doch Budapest? Eine unmög-
liche Stadt! Eigentlich schon keine Stadt mehr,
sondern ein Etablissement. Menschen, die dort
waren, erzählen geradezu phantastische Ge-
schichten. Fragen Sie einmal, wenn Sie nach
München kommen sollten, Eliasberg: er hat
über ein Jahr lang dort gelebt... Ich mußte im
vorigen Jahr aus einem Grunde, der eigent-
lich kaum einer war, dorthin reisen und ver-
brachte drei Wochen im Hotel. Drei lang-
weilige Wochen. Desto kurzweiliger jedoch
wurden die letzten Tage.
Es gibt im Grunde genommen nur drei Ho-
tels in Budapest: das Ritz, das Hungaria und
das Astoria. Im letzteren fand ich ein kleines
widerwärtiges Zimmer, denn ich hatte viel zu
spät telegraphiert. Budapest war übervoll.
Auf jedem Schritt begegneten Sie einem Fran-
zosen oder einem Amerikaner: in meinem Ho-
tel herrschte eine babylonische Sprachver-
wirrung, deren einziger fester Punkt der Por-
tier des Hotels war, der einfach alle Sprachen
zu können schien und ebenso meisterhaft mit
Herrn Popowitsch aus Belgrad wie mit Mister
Greene aus Boston sprach. Und hinter beiden
her dieses unangenehme süffisante Ungarn-
lächeln lächelte. (Obwohl er recht hatte!)
Mich konnte er nicht leiden. Schriftsteller
und Russe — kamen ihm da Reminiszenzen
aus Ungarns Bolschewistenzeit, oder wareü
meine zwei nicht sehr feudalen Lederkoffer
daran schuld? Er sprach mit mir kaum. Und
doch war ich im Irrtum, wie es sich später
herausstellte: eigentlich mochte er von allen
seinen Klienten nur mich. So kann man sich
täuschen, was?
Es war Hochsommer. Denken Sie mal!
August in Budapest! Eine Hitze hatte es, und
ich kam aus Berlin, wo es um diese Zeit ziem-
lich kalt war. Mein Lieber, es war eine Kata-
strophe! Ich war einfach zu warm angezogen.
— Kurz und gut, so wohnte ich denn im Asto-
ria, und die Tage wollten und wollten nicht
vorübergehen, und es waren immer die glei-
chen Leute, die morgens in der Hotelhalle her-
umstanden und abends im Restaurant des Ho-
tels ihre Mahlzeiten einnahmen. Lächeln Sie
nicht! Tatsächlich, sie nahmen ihre Mahlzeiten
ein, denn haben Sie schon jemals einen Ungarn
essen gesehen? Mit Schaudern denke ich an die
Wassermelonen zurück. Ich kann seit der
Zeit keine ^Vassermelonen mehr sehen.
Eines Morgens, als ich mich wieder über
den Portier geärgert hatte, denn er wollte mir
nicht erklären, wo der Ferencz Jöszef Rakpart
sei, bemerkte ich einen neuen Hotelgast und
wußte sofort, daß es ein Amerikaner war.
Welcher andere Mensch auf Gottes Erdboden,
frage ich Sie, vermag so die Hände in den
Hosentaschen zu halten? Er trug weiße Ten-
nishosen und einen blauen Rock, und ich är-
gerte mich doppelt, denn ich hatte keine wei-
ßen Hosen mitgenommen. Er sah auf die
Straße und rauchte seine kurze Pfeife und
spuckte gelegentlich aus. Wie alt er war,
konnte ich nicht feststellen: jung war er nicht.
Sagen wir einmal 40 Jahre. Es war recht ärger-
lich, denn ich hätte gerne, da er mich irgend-
wie interessierte, den Portier nach seinem
Namen gefragt; aber fragen Sie einmal einen
Portier, der Ihnen nicht einmal Auskunft gibt,
wo der Ferencz Jözsef Rakpart zu finden ist.
Ich betrachtete meinen Amerikaner eingehend
und nannte ihn Uncle Sam, obwohl er gar nicht
wie der liebe, gute, alte, hagere, ziegenbärtige
Uncle Sam aussah. Er war nämlich rasiert
und trug dazu einen kleinen — wie nennt man
es nur — englischen Schnurrbart, glaube ich.
Und sah sehr gutmütig aus; sicher ein Mann,
der gut zu Frauen war, und Geld hatte er be-
stimmt auch. Obwohl, Sie wissen ja: was
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