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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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Heft 9/10
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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0215
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„Heiloh, wie hold die Luft uns dreht.
He, hoppla, Junker Wildhans Speet,
Steig’ auf bei uns zu Gaste,
Auf Galgens Freudenmaster
Den Junker reißt es wild herum.
Er löset sich den Riemen stumm
Und springt gleich einer Katze
Zum angewiesnen Platze.
Er schlingt im Sprung den Knoten fein
Und zugesellet sich den drein
Und hängt sich flink zu ihnen.
Der Gastlichkeit zu dienen.

Zu Gaste hier, zu Gaste dort.
Man ist zu Gast an jedem Ort,
Sie kann jedwedem werden.
Im Himmel und auf Erden.
Noch pendeln sie ein Weilchen stumm
Im Wind herum, im Wind herum.
Sie drehn sich stumm und nicken
Am Strick, woran sie knicken.
Der Nachtwind klappt die Flügel zu.
Da drehn sie sich gemach zur Ruh’ —
In Waldes schwarzen Hafen
Geht auch der Vollmond schlafen.


DAS ELEFANTEN KALB
Eine Groteske von Ossian Elgström. Deutsch von Age Avenstrup und Elisabeth Tr eitel.
(Zeichnungen von Paul Erken s.)

Der alte Großknecht Laurenz kratzte sich
den Kopf. Er konnte aus der Kuh gar
nicht gescheit werden! —
Daß sie im Begriff stand zu kalben, konnte
doch jedermann sehen, rund war sie, über die
Maßen, ja, sogar zu rund. Laurenz stieß einen
langen, zitternden Seufzer aus und ließ seinen
krummen Zeigefinger sinnend an der breiten
Seite der Kuh entlang gleiten.
Ja, sie war entschieden zu rund, ein rich-
tiger Turm zu Babel. Was für ein unbändig
großes Kalb würde das werden, dachte er
weiter.
Eine Woche verging, und die Kuh wurde
immer größer.
„Sie ist nur ein einziger, großer Bauch’,
ließ sich Laurenz der Schar bewundernder
Knechte gegenüber aus, die das Gerücht von
der kolossalen Kuh versammelt hatte.
Ihre Füße konnten die Erde kaum erreichen,
aber sie litt nicht, ruhig stand sie in ihrem
Stand da, tagein, tagaus, wahrscheinlich in

holden Mutterträumen, und die vier Füße
hingen schlaff herab und waren eher Rudi-
mente als Stützen.
Ihre großen, ruhigen Augen wanderten von
einem zum anderen, und sie kaute langsam und
friedlich ihr Futter wieder, als ginge sie die
Sache gar nichts an.
Der Tierarzt kam, er klopfte, er untersuchte,
und er pfiff.
Der dämmerige Kuhstall war mit Leuten
gefüllt, die seinen Bewegungen mit respekt-
vollem Schweigen folgten. Kein Laut war zu
hören, außer dem leisen Pfiff des Tierarztes
und dem Klirren der Ketten in den Ständen.
Durch das kleine, mit Spinngewebe bedeckte
Fenster, drang graugelbes Tageslicht herein.
Der Tierarzt erhob sich.
„Ja — das verstehe ich nicht”, sagte er zu
dem Eigentümer des Hofes, Peter Jons, einem
hochgeschossenen Mann mit kleinen, erstaun-
ten, in Fett gebetteten Augen. „Ich komme na-
türlich, wenn etwas passieren sollte.”

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