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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 3.1921

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Heft 11/12
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https://doi.org/10.11588/diglit.29028#0235
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er Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl Schriftleiter Alf von Czibulka

Dritter Jahrgang


Heft 11/12

DAS STIER GEFECHT
Von J o h. V. J e n s e n. (Illustriert von Otto Linnekogel.)

er 2. Mai ist der Frei-
heitstag der Spanier.
Und es traf sich so, dal?
die N achricht von der
zerschmetternden Nie-
derlage hei Cavite just
an diesem Tag in Ma-
drid ankam. Die Spa-
nier machten vormit-
tags einen kleinen Auf-
stand, der zu einer prächtigen Militärparade
Anlal? gab. Der Lärm und die Erbitterung
schwammen in Farben.
Über Mittag war Ruhe in der Stadt.
Gegen vier Uhr aber wurde Madrid wie
ein Ameisenhaufe, den man mit einem Stock
aufgewühlt hat. Auf der Puerta del Sol konnte
man vor Wagen nicht vorwärtskommen. Sie
fuhren als gälte es das Leben und alle in die-
selbe Richtung, zur Alcalästral?e hinaus. Dort
war der Verkehr enorm. Hier und da hielten
weitläufige Fahrzeuge, vor deren Türen Kut-
scher standen, die in ekstatischem Eifer die
Arme gegen Himmel hoben und schrien: „Noch
Platz, noch Platz!“
Und die, die unter dem Segeldach Platz ge-
nommen hatten, schrien ebenfalls und rumor-
ten wie Mäuse in einer Falle. In einem Augen-
blick war ein Wagen gefüllt, der Kutscher
sprang auf den Bock und peitschte auf die
Maultiere los, und fort ging s was Riemen und
Geschirr halten wollten. Einige Wagen hatten
ein Gespann von sechs Maultieren, elenden

Mähren, die Köpfe aber waren mit den schön-
sten roten Pompons behängen!
Ohne zu wissen, was die atemlose Hast be-
deutete, suchte ich auch Platz in einem der
W^agen, und fort ging's im Galopp durch die
Calle de Alcalä.
^Vagen überholen uns, wir überholen an-
dere, ich sehe Hunderte von Gesichtern. Wir
passieren Equipagen, in denen vornehme Spa-
nierinnen sitzen. Ihr schwarzes Haar ist nur
von einem Schleier bedeckt und ihre Gesichter
gleichen großen Opalen; die schönen Züge sind
kalkweiß oder blau geschminkt. Sie sitzen voll
edler Ruhe unter dem freien Himmel, der
seinen Schein auf ihreW^agen zu werfen scheint,
die in der Sonne phosphoreszieren. Ich sehe
Spanier auf dem Fußsteig gehen, den Mantel
düster bis übers Kinn geworfen, irgendwo
steht ein Bettler, wir hasten an einem Triumph-
bogen vorbei, und auf der Treppe liegt ein
Mann, der-seinen Mantel bis über die Nase
gezogen hat. Zerfetzt und mager ist er, und
mitten in seinem Elend, mitten in all dem Lärm
schläft er und neben ihm liegt ein kleiner zu-
sammengerollter Hund und schläft ebenfalls.
Auf der Straße kommt jetzt ein rotgeklei-
deter Bursche auf einem Maulesel daherge-
sprengt, er sitzt stolz ganz hinten auf dem
Kreuz wie im Zirkus und hinter ihm folgt
ein Wagen in scharfem Trab. Dieser gleicht
einem Blumenkorb, acht Stierfechter brüsten
sich darin in roten und gelben und goldgestick-
ten Kostümen. Die Maultiere vor dem^Vagen


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