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Flügel wenden zu müssen, offenbar verlor auch die Polydiromie an Reiz. — Und
nun noch einmal die erste H%%ptt^ese, das, was mir als das Allerwichtigste er-
scheint: die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen den führenden Re-
tabelmeistern über die Grenzen der lokalen und regionalen Schulen hinweg in ganz
Süddeutschland. Diese These bedarf sicherlich der NaAprüfung, und sie wird viel-
leiAt Widerspruch finden, zumindest sAarf diskutiert werden. IA meine jedoA,
man sollte sie als eine Anregung gelten lassen. Mag sie zu einem Stein des Anstoßes
werden; sAon damit wäre etwas gewonnen. HoffentliA eher zu einem geworfe-
nen Stein, der auf einem stillen Seespiegel Wellenringe entstehen läßt. Der See-
spiegel ist auf seinen jetzigen Stand vor allem durA Wilhelm Pinder gebraAt
worden; nach diesem jähen, mächtigen Anschwellen ist er seit einem Menschenalter
wieder mehr zur Ruhe gekommen; gewiß stieg er langsam etwas weiter, gespeist
durA Zuflüsse aus den Quellen der Kennerschaft; gewiß hat das zunehmende In-
teresse an der Ikonologie wie eine Brise gewirkt, die über den Spiegel etwas Be-
wegung hinzittern ließ; im BereiA der Formgeschichte aber blieb frisAer Wind
aus. Pinders Autonomieerklärung für „die deutsche Plastik" (d. h. in diesem Falle:
für das Figürliche im Retabel) — m. E. einer der fruAtbaren Irrtümer der
GesAichtsschreibung — entfaAte eine lang anhaltende Begeisterung. Darüber ver-
schwand das Retabel als Ganzes — als ein künstlerischer Organismus aus den
Elementen Skulptur, Malerei, Ornament und Architektur — immer mehr aus dem
Bli&feld. Es als Zierarchitektur historisch zu würdigen, bleibt auch mir versagt;
unsere Kenntnis der deutschen spätgotisAen Monumentalarchitektur stagniert seit
Gerstenbergs berühmtem BuA über die „DeutsAe Sondergotik" (1913) im
Methodischen so ganz und gar, daß nicht einmal — anders als beim Retabel —
lokale und regionale Schulen und Entwicklungen klar erkennbar sind, geschweige
denn deren Verflechtung zu einer nationalen Einheit oder gar deren Verhältnis
zu anderen europäischen Schulen; die unentbehrlichsten Voraussetzungen fehlen
in diesem Bereich; deshalb sind Rückschlüsse auf die Retabelarchitektur einstweilen
völlig unmögliA. Immerhin habe ich hier versuAt, das Retabel nicht mehr vor
allem als Behälter für Skulpturen und Gemälde zu werten, sondern als ein Ganzes.
Damit vollziehe iA nicht eine Neuerung, sondern eine Renovatio, die Rückbesin-
nung auf etwas zu Unrecht halb Vergessenes. MöAte damit wieder Bewegung in
den stagnierenden Seespiegel kommen! Erwiese mein VersuA siA als fruAtbar,
so wäre damit für die GesAichte der altdeutschen Kunst etwas Bemerkenswertes
gewonnen, und zwar gerade für eine deutsche künstlerisAe Leistung, die von jeher
mit ReAt zu den ganz großen gezählt wird. Dieses Neue ist das Phänomen der
sinnvollen Entfaltung eines formalen Motivs, die immanente historische Entfaltung
der ästhetischen Möglichkeiten einer Form-Entelechie, bewirkt durA dialektisAe
Auseinandersetzung der führenden Meister miteinander, durA das Zusammenklin-
gen von Wirkungen und Gegenwirkungen im Fugato ein und derselben großen
Aufgabe. Und — mit der Entfaltung zugleiA — der Beginn des Verblühens, des
Vergehens. Wir DeutsAen — von jeher Partikularsten — haben in unserer alten
Kunst an solchen Phänomenen zwar nicht geradezu Mangel. Überfluß aber gewiß
niAt, anders als unsere — in dieser Beziehung reiAer gesegneten — NaAbarn im
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Flügel wenden zu müssen, offenbar verlor auch die Polydiromie an Reiz. — Und
nun noch einmal die erste H%%ptt^ese, das, was mir als das Allerwichtigste er-
scheint: die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen den führenden Re-
tabelmeistern über die Grenzen der lokalen und regionalen Schulen hinweg in ganz
Süddeutschland. Diese These bedarf sicherlich der NaAprüfung, und sie wird viel-
leiAt Widerspruch finden, zumindest sAarf diskutiert werden. IA meine jedoA,
man sollte sie als eine Anregung gelten lassen. Mag sie zu einem Stein des Anstoßes
werden; sAon damit wäre etwas gewonnen. HoffentliA eher zu einem geworfe-
nen Stein, der auf einem stillen Seespiegel Wellenringe entstehen läßt. Der See-
spiegel ist auf seinen jetzigen Stand vor allem durA Wilhelm Pinder gebraAt
worden; nach diesem jähen, mächtigen Anschwellen ist er seit einem Menschenalter
wieder mehr zur Ruhe gekommen; gewiß stieg er langsam etwas weiter, gespeist
durA Zuflüsse aus den Quellen der Kennerschaft; gewiß hat das zunehmende In-
teresse an der Ikonologie wie eine Brise gewirkt, die über den Spiegel etwas Be-
wegung hinzittern ließ; im BereiA der Formgeschichte aber blieb frisAer Wind
aus. Pinders Autonomieerklärung für „die deutsche Plastik" (d. h. in diesem Falle:
für das Figürliche im Retabel) — m. E. einer der fruAtbaren Irrtümer der
GesAichtsschreibung — entfaAte eine lang anhaltende Begeisterung. Darüber ver-
schwand das Retabel als Ganzes — als ein künstlerischer Organismus aus den
Elementen Skulptur, Malerei, Ornament und Architektur — immer mehr aus dem
Bli&feld. Es als Zierarchitektur historisch zu würdigen, bleibt auch mir versagt;
unsere Kenntnis der deutschen spätgotisAen Monumentalarchitektur stagniert seit
Gerstenbergs berühmtem BuA über die „DeutsAe Sondergotik" (1913) im
Methodischen so ganz und gar, daß nicht einmal — anders als beim Retabel —
lokale und regionale Schulen und Entwicklungen klar erkennbar sind, geschweige
denn deren Verflechtung zu einer nationalen Einheit oder gar deren Verhältnis
zu anderen europäischen Schulen; die unentbehrlichsten Voraussetzungen fehlen
in diesem Bereich; deshalb sind Rückschlüsse auf die Retabelarchitektur einstweilen
völlig unmögliA. Immerhin habe ich hier versuAt, das Retabel nicht mehr vor
allem als Behälter für Skulpturen und Gemälde zu werten, sondern als ein Ganzes.
Damit vollziehe iA nicht eine Neuerung, sondern eine Renovatio, die Rückbesin-
nung auf etwas zu Unrecht halb Vergessenes. MöAte damit wieder Bewegung in
den stagnierenden Seespiegel kommen! Erwiese mein VersuA siA als fruAtbar,
so wäre damit für die GesAichte der altdeutschen Kunst etwas Bemerkenswertes
gewonnen, und zwar gerade für eine deutsche künstlerisAe Leistung, die von jeher
mit ReAt zu den ganz großen gezählt wird. Dieses Neue ist das Phänomen der
sinnvollen Entfaltung eines formalen Motivs, die immanente historische Entfaltung
der ästhetischen Möglichkeiten einer Form-Entelechie, bewirkt durA dialektisAe
Auseinandersetzung der führenden Meister miteinander, durA das Zusammenklin-
gen von Wirkungen und Gegenwirkungen im Fugato ein und derselben großen
Aufgabe. Und — mit der Entfaltung zugleiA — der Beginn des Verblühens, des
Vergehens. Wir DeutsAen — von jeher Partikularsten — haben in unserer alten
Kunst an solchen Phänomenen zwar nicht geradezu Mangel. Überfluß aber gewiß
niAt, anders als unsere — in dieser Beziehung reiAer gesegneten — NaAbarn im