Ich will froh sein, wenn ich dich so weit habe,
dass du an den Frühling glaubst.
Der Eine: Hm. Glauben verlangen alle Apostel,
die echten und auch die unechten. Die Letzteren
am lautesten. Darum sind sie auch so böse auf
die Kritik. Gleich anbeten soll man, hingeworfen
sein, willenlos hingegeben den neuen Evangelien.
Aber man müsste Derwisch sein und bis zur
Akrobatik anbetungsbeweglich, wollte man vor all'
diesen neuen Göttern beten und tanzen.
Der Andere: Du wirfst da ein biss'chen viel
durcheinander. Wenn es dir recht ist, gehen wirs
der Reihe nach durch. Zuerst, meinst du, sind die
Apostel der neuen Dichtkunst böse auf die Kritik.
Der Eine: In der That, das meine ich, und ich
glaube, ich könnte dirs beweisen.
Der Andere: Mach dir keine Umstände. Ich
gebe dir das zu. Es wird ungebührlich viel auf
die Kritik geschimpft. Aber ich fürchte, dass sich
darin die Alten von den Jungen nur in der Ton-
art unterscheiden, wobei es Geschmacksache ist,
welcher Tonart man den Vorzug giebt. Aber ich
glaube bemerkt zu haben, dass die Replikenwut
doch etwas nachgelassen hat und dass, jemehr einer
kann und, vor Allem, je mehr einer fortschreitet,
um so weniger hält er sich mit seinen Kritikern
auf. Aber das ist schliesslich Temperamentssache,
und manche, so gross sie waren, wie z. B. Byron,
konnten es nie lassen, selbst die kleinsten Schreier
an den Ohren zu nehmen. Dieses polemische
Temperament ist im Grunde ein Unglück für den,
der es hat, und ich wünsche jedem Dichter die
klassische Ruhe, die z. B. Gerhart Hauptmann aus-
zeichnet, der selbst auf die tollsten Angriffe nie
ein Wort der Abwehr gehabt hat. Dies hat für
ihn den angenehmen Erfolg gezeitigt, dass die
Kritiker in ihrer himmlischen Selbstsicherheit an-
nahmen, er sei in sich gegangen, und dass sie, die-
selben, die ihn vordem als einen Ausbund frecher
Talentlosigkeit brandmarkten, später zu den laute-
sten Anerkennern seiner Begabung abschwenkten.
Aber, wie gesagt, das ist Temperamentssache, und
jeder hälts subjektiv so, wie's ihm sein Naturell oder
seine Klugheit gebietet. Im Grunde aber kann
jeder wirkliche Dichter dem Publikum nichts mehr
wünschen, als ein bischen mehr Kritik in literarischen
Dingen.
Kritik ist Scheidekunst, die Kunst des Unter-
scheidens, und das ist es, was der schaffenden
Dichtkunst gegenüber augenblicklich sehr fehlt. Es
giebt zu wenig Kenner und zu wenig Leute mit
Distancegefühl. Das Publikum hängt zu sehr
am Stofflichen, und die Stoffelei verhindert die
Leute, am dichterischen Bilde die Kunst oder Un-
kunst wahrzunehmen. Auch hier dasselbe wie
früher bei der Malerei. Heute gilt es gottlob be-
reits für ungebildet, wenn Jemand an einem Bilde
nur die Anekdote sieht, und man ist glücklich schon
in den entgegengesetzten Fehler verfallen, dass
man, um als wirklicher Kenner zu glänzen, den
inneren Gehalt eines Werkes der bildenden Kunst
geflissentlich ignoriert. Poetischen Werken gegen-
über aber stoffelt man «unentwegt» weiter. Wer
weiss heute die intimen Feinheiten des Rhythmus
in der Prosa zu schätzen? Wie viele Deutsche
giebt es, denen die Psalmodik Nietzsches aufge-
gangen ist? Und gar der Genuss des Verses, wie
liegt der im Argen bei uns! Es giebt immer noch
Leute bei uns, die sich zu den Gebildeten rechnen
und Verse nach Silben auszählen, statt sie nach
Betonungen zu empfinden. Und welche Rohheit
herrscht gegenüber den eigentlichen Feinheiten der
Verssprache. Von poetischen Valeurs, von Ton-
werten hat man kaum eine Ahnung, dafür sehen
aber Leute, die jede leere Stelle in einem Gemälde
peinlich empfinden, über ganze Lagunen in poe-
tischen Werken weg, ohne nur im geringsten
irritiert zu werden. Das lyrischste Volk der Welt
hat das lyrische Feingefühl so gut wie verloren,
und wir haben das Vergnügen, selbst hier, auf
unserem eigentlichsten Gebiete, bei den Franzosen
in die Schule gehen zu müssen.
Der Eine: Du redest wie ein unverstandener
Lyriker.
Der Andere: Nein, ich rede als Einer, dem es
leid thut, dass wir eine schöne Fähigkeit verloren
haben. Denn es war nicht immer so in Deutsch-
land. Die Briefliteratur aus der weimarschen Zeit
zeigt uns, dass unsre Vorfahren, soferne sie wirk-
lich geistig kultiviert waren, auch den Genuss der
künstlerischen Sprache kultivierten und ausbildeten.
Der Eine: Kein Wunder, denn damals gab es
eine geschmacksgefestete schöne Literatur, damals
war man auf einer festen Höhe und übersah die
weiten Strecken eines reifen, sicheren Schaffens.
Wer aber soll heute zu einem ruhigen Urteil ge-
langen angesichts dieses geschmacklosen Nebenein-
anders von literarischen Gegensätzen? Kaum hat
der Naturalismus Alles über den Haufen geworfen,
was uns edel und schön dünkte, und schon soll
dieser Naturalismus überwunden sein und wird als
unkünstlerisch verschrieen.
Der Andere: Musst du denn auf das Geschrei
hören? Kannst du nicht einfach ruhig zuschauen?
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dass du an den Frühling glaubst.
Der Eine: Hm. Glauben verlangen alle Apostel,
die echten und auch die unechten. Die Letzteren
am lautesten. Darum sind sie auch so böse auf
die Kritik. Gleich anbeten soll man, hingeworfen
sein, willenlos hingegeben den neuen Evangelien.
Aber man müsste Derwisch sein und bis zur
Akrobatik anbetungsbeweglich, wollte man vor all'
diesen neuen Göttern beten und tanzen.
Der Andere: Du wirfst da ein biss'chen viel
durcheinander. Wenn es dir recht ist, gehen wirs
der Reihe nach durch. Zuerst, meinst du, sind die
Apostel der neuen Dichtkunst böse auf die Kritik.
Der Eine: In der That, das meine ich, und ich
glaube, ich könnte dirs beweisen.
Der Andere: Mach dir keine Umstände. Ich
gebe dir das zu. Es wird ungebührlich viel auf
die Kritik geschimpft. Aber ich fürchte, dass sich
darin die Alten von den Jungen nur in der Ton-
art unterscheiden, wobei es Geschmacksache ist,
welcher Tonart man den Vorzug giebt. Aber ich
glaube bemerkt zu haben, dass die Replikenwut
doch etwas nachgelassen hat und dass, jemehr einer
kann und, vor Allem, je mehr einer fortschreitet,
um so weniger hält er sich mit seinen Kritikern
auf. Aber das ist schliesslich Temperamentssache,
und manche, so gross sie waren, wie z. B. Byron,
konnten es nie lassen, selbst die kleinsten Schreier
an den Ohren zu nehmen. Dieses polemische
Temperament ist im Grunde ein Unglück für den,
der es hat, und ich wünsche jedem Dichter die
klassische Ruhe, die z. B. Gerhart Hauptmann aus-
zeichnet, der selbst auf die tollsten Angriffe nie
ein Wort der Abwehr gehabt hat. Dies hat für
ihn den angenehmen Erfolg gezeitigt, dass die
Kritiker in ihrer himmlischen Selbstsicherheit an-
nahmen, er sei in sich gegangen, und dass sie, die-
selben, die ihn vordem als einen Ausbund frecher
Talentlosigkeit brandmarkten, später zu den laute-
sten Anerkennern seiner Begabung abschwenkten.
Aber, wie gesagt, das ist Temperamentssache, und
jeder hälts subjektiv so, wie's ihm sein Naturell oder
seine Klugheit gebietet. Im Grunde aber kann
jeder wirkliche Dichter dem Publikum nichts mehr
wünschen, als ein bischen mehr Kritik in literarischen
Dingen.
Kritik ist Scheidekunst, die Kunst des Unter-
scheidens, und das ist es, was der schaffenden
Dichtkunst gegenüber augenblicklich sehr fehlt. Es
giebt zu wenig Kenner und zu wenig Leute mit
Distancegefühl. Das Publikum hängt zu sehr
am Stofflichen, und die Stoffelei verhindert die
Leute, am dichterischen Bilde die Kunst oder Un-
kunst wahrzunehmen. Auch hier dasselbe wie
früher bei der Malerei. Heute gilt es gottlob be-
reits für ungebildet, wenn Jemand an einem Bilde
nur die Anekdote sieht, und man ist glücklich schon
in den entgegengesetzten Fehler verfallen, dass
man, um als wirklicher Kenner zu glänzen, den
inneren Gehalt eines Werkes der bildenden Kunst
geflissentlich ignoriert. Poetischen Werken gegen-
über aber stoffelt man «unentwegt» weiter. Wer
weiss heute die intimen Feinheiten des Rhythmus
in der Prosa zu schätzen? Wie viele Deutsche
giebt es, denen die Psalmodik Nietzsches aufge-
gangen ist? Und gar der Genuss des Verses, wie
liegt der im Argen bei uns! Es giebt immer noch
Leute bei uns, die sich zu den Gebildeten rechnen
und Verse nach Silben auszählen, statt sie nach
Betonungen zu empfinden. Und welche Rohheit
herrscht gegenüber den eigentlichen Feinheiten der
Verssprache. Von poetischen Valeurs, von Ton-
werten hat man kaum eine Ahnung, dafür sehen
aber Leute, die jede leere Stelle in einem Gemälde
peinlich empfinden, über ganze Lagunen in poe-
tischen Werken weg, ohne nur im geringsten
irritiert zu werden. Das lyrischste Volk der Welt
hat das lyrische Feingefühl so gut wie verloren,
und wir haben das Vergnügen, selbst hier, auf
unserem eigentlichsten Gebiete, bei den Franzosen
in die Schule gehen zu müssen.
Der Eine: Du redest wie ein unverstandener
Lyriker.
Der Andere: Nein, ich rede als Einer, dem es
leid thut, dass wir eine schöne Fähigkeit verloren
haben. Denn es war nicht immer so in Deutsch-
land. Die Briefliteratur aus der weimarschen Zeit
zeigt uns, dass unsre Vorfahren, soferne sie wirk-
lich geistig kultiviert waren, auch den Genuss der
künstlerischen Sprache kultivierten und ausbildeten.
Der Eine: Kein Wunder, denn damals gab es
eine geschmacksgefestete schöne Literatur, damals
war man auf einer festen Höhe und übersah die
weiten Strecken eines reifen, sicheren Schaffens.
Wer aber soll heute zu einem ruhigen Urteil ge-
langen angesichts dieses geschmacklosen Nebenein-
anders von literarischen Gegensätzen? Kaum hat
der Naturalismus Alles über den Haufen geworfen,
was uns edel und schön dünkte, und schon soll
dieser Naturalismus überwunden sein und wird als
unkünstlerisch verschrieen.
Der Andere: Musst du denn auf das Geschrei
hören? Kannst du nicht einfach ruhig zuschauen?
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