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der "Wirklichkeit vorzuführen. Zur Beurteilung des Buches
ist dies freilich nicht von Bedeutung. Mit etwas trockener
Präzision und mit harten Contouren hat uns der Verfasser eine
moderne Ehegeschichte erzählt. „Es geschieht, dass sich zwei
Menschen, die nach fernen Zielen wandern, auf gleichem
Wege begegnen. Da sich ihre Blicke begegnet haben, ge-
fallen sie sich, ihre Hände vereinigen sich und sie gehen
festeren Schrittes weiter. Und während sie gehen, erzählen
sie sich, wer sie sind, wo sie herkommen, aber sie verstehen
sich nicht, denn sie sprechen eine andere Sprache und beider
Heimat ist nicht von derselben Sonne beleuchtet. Sie
fahren fort, mit einander zu sprechen, aber nur, um ihre
Stimmen zu hören; und Hand in Hand, manchmal Auge in
Auge, aber immer das Eine dem Anderen Freund, schreiten
sie dahin... „denn es ist die ewige Täuschung in der Liebe,
die fortdauert, bis, durch neue Enttäuschungen, die Resig-
nation kommt, die doch schliesslich der einzige Weg zum
Glücke ist". Was mich bei Scheffer immer fesselt, ist die
intensive Weise, mit welcher er, durch einfache Mittel,
Lebenseindrücke erzeugt. Seine Darstellungsweise ist knapp
abgegrenzt und nur auf die Entwicklung seines Sujets ge-
richtet. Was er schreibt aber, ist mit Herzblut geschrieben,
deshalb wird es dauern. Durch zwei Romane, die an einem
Hof der Balkanhalbinsel spielten, ist Scheffer auch in deutschen

Landen zu etwas geräuschvoller Berühmtheitgekommen.Erver-
dient aber weit mehr, als durch zufällige Intriguen von Tages-
blättern beschmutzt zu werden; obwohl das auch eine Ehre ist.
Zum Schlüsse noch ein Roman, der vielleicht nicht gerade
hierher gehört. Er ist vom Sohne Alphonse Daudet's, diesem
jungen „rate" der medizinischen Fakultät, der dem Vater
gern ins Handwerk pfuschen möchte, und soll eine Satyre
auf die jüngeren Litteraturkreise sein, in denen man sich redlich
bemüht, ein wenig aus dem französchen Exclusivismus
hinauszuflüchten und sich für ausländische Produktion zu
interessieren. Das Theätre de l'Oeuvre, die Redakteure des
„Mercure de France" und der „Revue Blanche" werden darin
etwas grobklotzig karikiert. Der Titel ist Sainte-Beuve ent-
nommen, ohne dass sich jedoch Herr Daudet junior die Mühe
giebt, es seinen Lesern mitzuteilen. In Theophile Gautiers
Vorwort zu den „Fleurs du Mal" heisst es wörtlich: „Baude-
laire eut bientot trouve sa voix. II avisa, non pas en decä,
mais au delä du romantisme, une terre inexplore'e, une sorte
de Kamtchatka he'risse et farouche, et c'est ä la pointe extreme
qu'il se bätit, comme dit Sainte-Beuve qui l'appre'ciait, un
kiosque, ou plutot une yourte d'une architecture bizarre."
Wie wär's, wenn wir das Geusen-Wort „Kamtchatka" zu
unserem Kriegsrufe nähmen? Eins aber verurteilt Daudet's
Buch: es ist geistlos, es ist ein Pamphlet.

Henri Albert.

C 211 ])
 
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