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dass sie, auch hier wieder wie einst Lessing, eine
Kunst der Gegenwart fordert und verlangt, dass der
Dichter seines Prophetenworts bewusst werde und
sich um die Fragen kümmere, die sein Volk bewegen,
und Antwort darauf suche —

dass sie damit den grossen rationalistischen
Ideen und Philosophemen einer neuen Zeit, die wie
hochflammende Bergfeuer durch das Jahrhundert
leuchten, endlich auch in der Dichtkunst zum Wort
verhilft, wenn auch vorerst nur stammelnd und
stotternd —

und dass sie durch das Alles, noch einmal wie
Lessing, zur schöpferischen Neugestalterin unserer
Sprache wird, aus dem unversiegbaren Jungbrunnen
unseres Volkstums heraus.

Mag das Alles auch noch so sehr in blossen
Anfängen stecken, so sind es doch Aufgaben und
Ziele, so gross und weittragend, wie sie sich die
Kunst einer früheren Periode wohl kaum zu stellen
wagte. Man darf nur nicht gleich mit allzu hohen
und mit allzu eiligen Erwartungen kommen wollen
und gleich klassische Werke fordern. Das ist immer
misslich und enttäuschend. Selbst Goethe und
Schiller brauchten ein Vierteljahrhundert vorher
Lessing als Vorbereiter und Bahnbrecher.

Was aber not thut, das wäre: dass man endlich mit
ein bischen mehr Liebe und Geduld und weniger Vor-
urteil der Entwicklung gegenüber träte, mit mehr Teil-
nahme und Mitfreude, und nicht bloss das Ungenügende
sähe, sondern auch das Gute und Reifenwollende.

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