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und Theatermachwerken voll Verlogenheit und Schön-
rednerei?! Verdienten sie nicht ein Heidengeld damit, wie
er nie verdienen würde?! . .. das war natürlich nur Brotneid
von ihm!... aber viele hätten ganz gewiss mehr gekonnt, wenn
sie nur gewollt hätten. Ganz gewiss. Doch wozu ? Gedankt
wird es einem doch nicht!

Und war es nicht auch das Klügere, den Leuten zu geben,
was ihnen Spass machte! und recht und gut zu nennen, was
sie so genannt haben wollten! Anstatt mit Dingen zu kommen,
die ihnen unangenehm sein mussten und die sie verletzten,
weil es eben... immer verletzt, wenn einer nicht mitlügen will!
War es nicht einfach dumm, sich eigensinnig hin zu
stellen: Der König habe gar keine Kleider an! Wenn Tausende
sagen, er habe Kleider an, so hat er eben Kleider an! —

Und doch ... und doch: Er musste festbleiben! er
musste aushalten! wenn nicht Alles umsonst gewesen sein
sollte! Er musste vorwärts! Er musste siegen!

Aber: immer neue Häuser und Strassen, wohin er blickte,
als ob es in alle Ewigkeit so fort gehe, und nichts als Häuser
und Strassen und immer Stadt und nichts als Stadt und überall
das gleiche ruhelose Gehaste und Gehetze: und gegen das
Alles wollte er sich zur Geltung bringen? Gegen dies ganze
Getriebe rings, gegen all diese Hunderte und Tausende von
Menschen ? Gegen sie alle wollte er sich behaupten ? und mit
dem blossen Wort, mit der blossen Begeisterung?

War das nicht mehr, als Vermessenheit! war es nicht
Thorheit! war es nicht einfach Verrücktheit: sein ganzes
schönes Leben dran zu geben, um wie ein Don Quichote . ..
Er hatte auch gar nicht mehr die Kraft dazu!
Nein! er hatte sie nicht!
Weshalb also!

Und wesshalb sollte er gerade mehr können, als andre! ?
Wollten nicht alle, was er wollte, wenn sie ehrlich waren?
hoffte nicht jeder im Stillen, was er hoffte? Und war da
nicht mancher, von dem er sagte: er thäte klüger, es bleiben
zu lassen, und dachte der vielleicht nicht ebenso von ihm?!
Die Rezensionen über seine Bücher waren fast immer ausge-
zeichnet, doch . . . wer gab etwas darauf?! und wie viel
mittelmässiges und schlechtes wurde ganz ebenso gut be-
sprochen! Und was man ihm so sagte da oder dort, waren
ein paar freundliche Redensarten, wie er sie selber schon
gemacht hatte! die Wahrheit jedoch erfuhr man nirgends.
Gewiss: seine Sachen waren zu ernst und zu schwer. Er
wusste das auch und viel besser, als die Leute, die ihm das
vorhielten. Er wusste viel besser, was man alles dagegen ein-
senden konnte. Aber nur nicht gerade das, was man so
anführte und wenn man kam und sagte: so unmännlich sei
kein Mann, wie in der einen Novelle; und die Frauen: so
unweiblich und „unanständig" empfinde keine Frau! Natür-
lich! warum auch nicht Gebrauch machen von dem alten
schönen Recht der Zeugnisverweigerung in solchen Fällen,
ui denen ein bischen entrüstet zu thun, immer einen viel
besseren Eindruck macht! Ach ja! die Menschen! ...
Aber — was wollte er eigentlich?
Etwas gutes schaffen!

Alles gute, alles wirklich gute aber konnte nur für
wenige sein und war auch immer nur für wenige!

Weshalb also beklagte er sich ? Er verzichtete damit doch
auf den äusseren Erfolg, und freiwillig! und die Anerkennung
weniger hatte er ja! Warum also all die Qual!

Er machte sich nur müde und es gelang ihm nur immer
schwerer! Er fühlte ja, wie er sich versickerte, gleich einer
Quelle, die sich über ein Sandfeld sucht, und wie es immer
lahmer und lahmer in ihm wurde.

Er hätte weinen können!

Wie ein grosses Herbstwerden war es über ihm, und ohn-
mächtig und immer ohnmächtiger stand er dabei und musste
zusehen, wie es seine Sonne verwölkte, wie es ihn entblätterte
und das Lied in seiner Brust verstummen machte, wie es
seine Rosen brach und jeder Tag fast ihn immer mehr ver-
einsamte und bei Seite schob.

Erst gestern wieder.

Einer um den andern fiel von ihm ab und gab dem Er-
folg recht, den der seichteste Durchschnitt mit ein bischen
äusserlicher Mache sich zu erringen wusste.

#

Er sprang auf.

Er musste Bewegung haben. Eine quälende Unruhe
schmerzte ihm durch die Glieder und dieses Stillsitzen machte
ihn vollends . . . zitterig.

Er kletterte die steile Omnibustreppe hinunter und suchte
sich durch das Strassengewühl nach dem Westen. Das Gehen
machte ihn etwas ruhiger. Aber er war müde, zum Umfallen.
Wie Blei lag es ihm in Armen und Füssen, und er kam kaum
vom Fleck ... als schritte er in einem grossen Leichenzug,
in dem die Menschen sich dahinschöben. Von irgend woher
klang es auch wie Glockengeläute.

Er hatte sich ein wenig überanstrengt in den letzten
Wochen. Doch nein! er wollte nicht müde sein! Unsinn!
Wenn der Körper es nicht aushielt, wenn es einmal drauf
ankam, dann sollte er eben zusammenbrechen ... wenn es
an ein Ziel zu kommen gilt, kann ein Reiter doch wahr-
haftig nicht mit dem Tier unter sich Mitleid haben wollen.
Es muss gehorchen und muss laufen, und wenn ihm das Blut

aus den Weichen quillt und wenn es draufgeht__ das Ziel

ist die Hauptsache!

Es war ja verrückt, dieses ewige Grübeln, aber er kam
nicht los davon, so gewaltsam er es abzuschütteln versuchte
bis ihn plötzlich wieder eine wahnsinnige Lust packte : nach
Hause zu eilen, sich auf eine Arbeit zu werfen, wie er eine
und stand, und zu schreiben und zu schreiben, irgend etwas
ohne aufzuhören, heute anzufangen und morgen, übermorgen
fertig zu sein, ohne ein Wort zu ändern. Ja, das hätte noch
etwas sein können! Und es war so viel, was dalag. Wie ein
Fiebersturm jagte es ihm alle Pläne und Entwürfe durchs Ge-
hirn. Und wenn ihm nur die Hälfte davon gelang und wenn
er es nur halb so herausbrachte, wie es ihm vor Augen stand!

Ja! ... Alles war doch noch nicht verloren, und die
alte Simsonkraft war doch noch da, wenn es drauf ankam!
Gott sei Dank! und die Philister waren doch noch nicht Herr
über ihn geworden! . . .

„Jost!?" und gleichzeitig legte sich eine Hand auf seine
Schulter. Er drehte sich um.

„Gerlach! Hermann Gerlach! — Lebst Du denn noch?«

„Und wie? Komme eben von meiner Hochzeitsreise
direkt von Nizza. Prächtig, grossartig, sag ich dir! war was
für dich gewesen!"

„Glaub ich wohl!"

„Und Du ? immer noch — ?

G. 291 1)

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