Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
EIN RINGKAMPF

UNSER Gespräch war in bester Fahrt. So ein
Gespräch, wie es beim Schoppen Wein vom
Stapel läuft, wenn draussen der Frühling über Nacht
den Winter verdrängt hat. Dann hält die Sonne
gross Reinemachen. Ihr Flammenbesen stöbert am
Himmel den grauen Wolkenkehricht auf und zer-
fegt auf Feld und Strasse das Gemantsch von Eis
und Koth und Schnee. Die Kneipe aber breitet
noch einmal, als ahne sie die sommerliche Untreue
ihrer Freunde, alle Zauber ihrer Gemütlichkeit aus.
Und das Gespräch flackert erregt und unstet; es ist
von Sehnsucht durchweht und Ahnung und Inbrunst,
aber es ist auch wirr und dämmerhaft und ziellos.

Wir hatten uns in allerhand Kunstfragen ver-
tieft. Dann plötzlich sprangen wir auf Welt-
betrachtung über und verirrten uns schliesslich
in die Bezirke jener modernen Mystik, die eher
einer Neugier der Vernunft, als der Brunst des
Empfindens entwächst, eher in Abgründe des
Denkens, als des Glaubens hinabstrebt. Seelen-
wanderung, Gedankenübertragung, Fernwirkung, —
alle Welt schwatzt davon, niemand glaubt so recht
daran, jedermann aber versichert, dass, wenn etwas
daran wäre, die Sache natürlich ganz natürlich zu
erklären sei.

Eben klang es von der einen Ecke des Tisches
her: „Was sagst du? Was? Ein blosser Willens-
akt ohne leibliche Vermittlung soll" — — „Hab
ich ja gar nicht gesagt", — unterbrach eine zweite

Stimme die erste. „Irgend eine Vermittlung wird
vorhanden sein; nur ist sie uns noch ganz un-
bekannt und unfassbar."

Diese Weisheit war uns zu tief. Sie musste
erst ergründet werden. So trat ein kurzes Schweigen
ein. Von der Thür her aber, die sich geöffnet
hatte, ohne dass einer von uns darauf geachtet,
scholl eine tiefe, etwas rauhe Stimme: „Horch!
Horch! Da komm' ich ja eben recht. In dieses
Geschwätz pass' ich hinein, wie der Hopfen in die
Würze. Nun wird das Gebräu erst süffig, 'n Abend,
Kinder."

Der das sprach, das war er, unser Anton Oden-
dahl. Ein halbes Jahr war er dem „Goldnen
Schlauch" fern geblieben. Niemand hatte ihn ge-
sehen, niemand wusste, wohin er entschwunden war.
Jetzt stand er so plötzlich wieder da, wie er davon
gegangen. Und er war ganz der alte. Selbst sein
kurzer Flaus, sein Schlapphut, sein Eichenknittel
waren gute Bekannte. Mit Jubelruf, mit Um-
armungen und mit manchem liebevollen Puff wurde
er an den Tisch gezogen und gestossen.

Und durcheinander schrieen vier, fünf Stimmen:
„Woher des Wegs?.. Wo warst du, Mensch?. .
Erzähl', was du gemacht hast."

Er beeilte sich nicht mit der Antwort. Erst
zog er aus der Tasche die kurze Pfeife, zündete
sie an, trank mit vielem Bedacht ein Glas Mosel
und dann sagte er: „Wo ich war? Weder im

(19»
 
Annotationen