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lerische Mission. Dass er sie mit eigensinniger Einseitigkeit
vertritt, ist seine Schwäche — und seine Stärke zugleich.
Immer wenn die Kunst in Gefahr kommt, den festen Boden
ernsthafter Naturbeobachtung zu verlieren, dann wird man sich
dieser durch Schlichtheit grossen Malerei Liebermann's erinnern,
und ihn feiern als einen Rüttler am künstlerischen Gewissen.

Die Gefahr in der Gefolgschaft der Naturalisten zu einer
trockenen Thatsächlichkeitsschilderung zu verknöchern, diese
Gefahr scheint mir bei uns Deutschen am wenigsten nahe zu
liegen. "Wir sind vonNatur aus viel zu gemütsreich und zu grüb-
lerisch angelegt, als dass der Positivismus in der künstlerischen
Anschauung das letzte Wort haben könnte. Diese berechtigte
Eigentümlichkeit unseres Ingeniums kommt in der wider-
spruchsvollen Kunst Max Klinger's deutlich zum Ausdruck. Ein
Phantasiemensch-Gestalter, gedankenreich und voller Em-
pfindung, den es treibt, was er sah und fand, umzugestalten
mit der Ausdruckskraft wirklichen Geschehens, das ist deutsche
Art. Wer sieht nicht ihre Mängel: das Unausgeglichene in der
Erfindung und in der Formengebung, das Unabgeklärte, Ver-
worrene? Doch wer spürt nicht auch die Gewalt, in die er
sich begiebt, wenn er das Werk Max Klinger's durchblättert!
Bei allem Paradoxen im Gedanken und in der Gestaltung zieht
uns die Naturempfindung und jene kleine Kunst der Durch-
führung an, die dem stilvollen Romanen als eine Auffälligkeit
deutscher Kunst erscheint.

Ludwig von Hofmann, dessen Auftreten bei den XI am
meisten besprochen worden ist, teilt gewiss mit Klinger die
Neigung zum Fabulieren und Symbolisieren, aber seine Em-

pfindung ist weicher und seine Phantasie ergeht sich mehr in
harmonischen Spielen farbiger Wirkungen, denn in strenger
Form und Durchbildung. Sein Gefühl für den Farbenreiz der
Landschaft ist ebenso fein, wie seine Freude an dem Liebreiz
jugendlicher Gestalten. Dar Aufenthalt in Italien hat offenbar
auf die mitunter etwas skurile Manier des jungen Künstlers
beruhigend eingewirkt. Gewiss zu seinem Vorteil; der grössere
formale Inhalt in seinen neuesten Kompositionen, die einfachere
Führung der Linien geben eine neue Gewähr für die grosse
dekorative Begabung Hofmann's, die ihn hoffentlich bald
vor eine grosse Aufgabe führen wird.

Auch Walter Leistikow hat in mehreren seiner Bilder
eine dekorative Neigung verraten. Seine ganze Anschauung
der Natur hat etwas Dekoratives, das sich in abbrevierender
Formengebung, in der Konzentration auf wenige Tönungen
äussert. Leistikow hat die Schilderung der märkischen Land-
schaft mit ihren ernsten stimmungsvollen Farbenspielen zu
einer Spezialität erhoben, in der er viel Selbständigkeit und
eigenartigen Farbensinn geltend macht. Er interessiert nach
zwei Seiten. Zunächst als ein Landschafter von feinem Gefühl
für den Stimmungsgehalt der märkischen Landschaft — er
hatte dieses Frühjahr eine Anzahl Studien, die von frischer
Beobachtung zeugten und eine Malerfaust verrieten — dann
aber hat er stark phantastische Neigungen, die ihn zum
Symbolisieren und Stilisieren treiben. Er thut es in nordischem
Sinne, mit einer gewissen barbarischen Wildheit, die wohl
nicht ohne dekorative Wirkung ist, allein Gefahr läuft, will-
kürlich und unverständlich zu werden.

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