LOUIS TÜAILLONS AMAZONE
UEBERRAS CHUNGEN sind auf unseren Kunstausstel-
lungen selten. Was die norddeutschen Künstler bringen,
vermag man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vorher abzu-
wägen; den Einsendungen von München und dem Ausland
ist man zumeist schon vorher in einer Ausstellung begegnet,
und so ist oft das Gute nicht neu, und das Neue nicht gut.
Um so freudiger begrüssen wir es, wenn wir einmal
durch ein bedeutendes Werk überrascht werden.
Die Ausstellung 1895 war lange eröffnet und war, wie
man es gewohnt ist. Nur der Charakter der Internationalität
war aus München frisch importiert. Da wurde eines Tages
vor dem Hauptportal eine mächtige Bronzegruppe aufgestellt:
Amazone zu Pferd von Louis Tuaillon.
Das Werk ist den Lesern des Pan nicht mehr ganz fremd;
der Kopf des Pferdes ist bereits hier reproduziert worden.
Wir sind jedoch nun in der Lage eine Wiedergabe des ganzen
Werkes vorlegen zu können, was uns einer Beschreibung der
Einzelheiten überhebt. Ein ruhig stehender Renner: auf seinem
Rücken eine antik gebildete Frau, von deren Schulter ein
dünnes Chiton in wenigen grossen Falten heruntergleitet, das
Bedeckte kaum verhüllend. Ihre Rechte hält lässig die Streit-
axt, aufgestützt auf dem Hals des Pferdes, während die Linke
auf der Kruppe des Tieres ruht. In dieser Stellung wendet sie
den Kopf nach links und blickt scharf spähend in die Ferne.
Es ist ein Moment der Ruhe — vor dem Kampf? Der
Ruhe entspricht die Pose der Frau, das sanfte Sichgehenlassen,
ebenso das gänzliche Fehlen des äusseren Apparats zum Reiten.
Aber Pferd und Reiterin sind fühlbar angespannt, und im
nächsten Augenblick schon mögen sie dahinstürmen, eins
geworden in der Bewegung, in den Kampf.
Ein einheitliches Kunstwerk steht vor uns; straff, ohne
Rücksicht auf irgend welchen Nebenzweck hat hier ein
Künstler sich ausgesprochen, und einen Gedanken, mit dem
er sich vier Jahre lang getragen, verwirklicht. Das ist der
Durcharbeitung zu gute gekommen, und diese hat in der
That einen sehr hohen Grad von Vollendung erreicht. Das
Pferd vor allem, mit der wundervollen Durchbildung seiner
Teile — wobei aber Tuaillon nie ins Kleinliche, das die
Gesamtwirkung schädigen könnte, verfällt — ist meisterhaft
gestaltet.
Die „Amazone" ist, abgesehen von einer Portraitbüste
seiner Mutter, die erste grosse Leistung des noch jungen
Künstlers, der, ein Berliner Kind, unter Begas seine Schule
durchgemacht hat. Nach vorübergehendem Aufenthalt in
Wien, wo er unter Weyer arbeitete, ging Tuaillon nach Rom.
Hier trat er zu dem Mann in Beziehung, der aufsein Schaffen
massgebenden Einfluss gewinnen sollte: Hans von Marees.
Der Name dieses Mannes wird in der Kunstgeschichte
unseres Jahrhunderts seine Bedeutung behaupten, weniger
vielleicht durch das, was er persönlich leistete, denn von dem
Vielen, das er anstrebte, ist allein der Freskenschmuck im
Bibliotheksraum des Aquariums zu Neapel zur Vollendung
gekommen, — ein Werk freilich, das niemand aus der Er-
innerung schwinden kann — als vielmehr durch das, was er
wollte und -was in jüngeren Künstlern zur That wurde. Alle
diese Freunde Marees sind, soweit ich sehe, Bildhauer ge-
wesen, Hildebrandt voran, dann Volkmann, endlich Tuaillon.
Was diesen Künstlern gemeinsam ist, scheint mir vor
allem in einer starken Hinneigung zur antiken Kunst zu
bestehen. Wohlverstanden aber nicht in der verkehrten Art,
■wie sie schon einmal in unserm Jahrhundert aufgefasst-worden
war, zum Verhängnis der Plastik, die in widerliche, süssliche
Affektation und Manier verfiel, weil sie die Natur in den
Werken Griechenlands und nicht in der Natur selbst zu
erfassen suchte. Anders die Schüler von Marees! Es ist, als
wohne etwas von antiker Seele in ihnen und zwänge sie, das
Alte in neue Formen umzugestalten. So hat z. B. Hildebrandt
uns in der nackten männlichen Figur der National-Galerie
zu Berlin den polykletischen Kanon in rein moderner Form
wieder entwickelt. Bei Volkmann ist diese Neigung zur
antiken Skulptur vielleicht am greifbarsten hervorgetreten.
Ihnen schliesst sich nun Tuaillon an — aber auch er bleibt
dabei ganz modern und hütet sich vor der Gefahr, blos
nachzubeten, was andere vor ihm geschaffen. Und doch hat
diese Amazone etwas von antikem Geist in sich und trägt den
Namen, den sie sich anmasst, keineswegs zu Unrecht. In
dieser Verbindung von Antik und Modern aber begrüssen wir
das, was uns Tuaillons Werk besonders wertschätzen lässt.
Der junge Meister hat damit eine Bahn gefunden, auf der er
sich wohl in kurzer Frist schon allgemeine Anerkennung
erringen wird.
G. Gronau
([ 54 ])
UEBERRAS CHUNGEN sind auf unseren Kunstausstel-
lungen selten. Was die norddeutschen Künstler bringen,
vermag man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vorher abzu-
wägen; den Einsendungen von München und dem Ausland
ist man zumeist schon vorher in einer Ausstellung begegnet,
und so ist oft das Gute nicht neu, und das Neue nicht gut.
Um so freudiger begrüssen wir es, wenn wir einmal
durch ein bedeutendes Werk überrascht werden.
Die Ausstellung 1895 war lange eröffnet und war, wie
man es gewohnt ist. Nur der Charakter der Internationalität
war aus München frisch importiert. Da wurde eines Tages
vor dem Hauptportal eine mächtige Bronzegruppe aufgestellt:
Amazone zu Pferd von Louis Tuaillon.
Das Werk ist den Lesern des Pan nicht mehr ganz fremd;
der Kopf des Pferdes ist bereits hier reproduziert worden.
Wir sind jedoch nun in der Lage eine Wiedergabe des ganzen
Werkes vorlegen zu können, was uns einer Beschreibung der
Einzelheiten überhebt. Ein ruhig stehender Renner: auf seinem
Rücken eine antik gebildete Frau, von deren Schulter ein
dünnes Chiton in wenigen grossen Falten heruntergleitet, das
Bedeckte kaum verhüllend. Ihre Rechte hält lässig die Streit-
axt, aufgestützt auf dem Hals des Pferdes, während die Linke
auf der Kruppe des Tieres ruht. In dieser Stellung wendet sie
den Kopf nach links und blickt scharf spähend in die Ferne.
Es ist ein Moment der Ruhe — vor dem Kampf? Der
Ruhe entspricht die Pose der Frau, das sanfte Sichgehenlassen,
ebenso das gänzliche Fehlen des äusseren Apparats zum Reiten.
Aber Pferd und Reiterin sind fühlbar angespannt, und im
nächsten Augenblick schon mögen sie dahinstürmen, eins
geworden in der Bewegung, in den Kampf.
Ein einheitliches Kunstwerk steht vor uns; straff, ohne
Rücksicht auf irgend welchen Nebenzweck hat hier ein
Künstler sich ausgesprochen, und einen Gedanken, mit dem
er sich vier Jahre lang getragen, verwirklicht. Das ist der
Durcharbeitung zu gute gekommen, und diese hat in der
That einen sehr hohen Grad von Vollendung erreicht. Das
Pferd vor allem, mit der wundervollen Durchbildung seiner
Teile — wobei aber Tuaillon nie ins Kleinliche, das die
Gesamtwirkung schädigen könnte, verfällt — ist meisterhaft
gestaltet.
Die „Amazone" ist, abgesehen von einer Portraitbüste
seiner Mutter, die erste grosse Leistung des noch jungen
Künstlers, der, ein Berliner Kind, unter Begas seine Schule
durchgemacht hat. Nach vorübergehendem Aufenthalt in
Wien, wo er unter Weyer arbeitete, ging Tuaillon nach Rom.
Hier trat er zu dem Mann in Beziehung, der aufsein Schaffen
massgebenden Einfluss gewinnen sollte: Hans von Marees.
Der Name dieses Mannes wird in der Kunstgeschichte
unseres Jahrhunderts seine Bedeutung behaupten, weniger
vielleicht durch das, was er persönlich leistete, denn von dem
Vielen, das er anstrebte, ist allein der Freskenschmuck im
Bibliotheksraum des Aquariums zu Neapel zur Vollendung
gekommen, — ein Werk freilich, das niemand aus der Er-
innerung schwinden kann — als vielmehr durch das, was er
wollte und -was in jüngeren Künstlern zur That wurde. Alle
diese Freunde Marees sind, soweit ich sehe, Bildhauer ge-
wesen, Hildebrandt voran, dann Volkmann, endlich Tuaillon.
Was diesen Künstlern gemeinsam ist, scheint mir vor
allem in einer starken Hinneigung zur antiken Kunst zu
bestehen. Wohlverstanden aber nicht in der verkehrten Art,
■wie sie schon einmal in unserm Jahrhundert aufgefasst-worden
war, zum Verhängnis der Plastik, die in widerliche, süssliche
Affektation und Manier verfiel, weil sie die Natur in den
Werken Griechenlands und nicht in der Natur selbst zu
erfassen suchte. Anders die Schüler von Marees! Es ist, als
wohne etwas von antiker Seele in ihnen und zwänge sie, das
Alte in neue Formen umzugestalten. So hat z. B. Hildebrandt
uns in der nackten männlichen Figur der National-Galerie
zu Berlin den polykletischen Kanon in rein moderner Form
wieder entwickelt. Bei Volkmann ist diese Neigung zur
antiken Skulptur vielleicht am greifbarsten hervorgetreten.
Ihnen schliesst sich nun Tuaillon an — aber auch er bleibt
dabei ganz modern und hütet sich vor der Gefahr, blos
nachzubeten, was andere vor ihm geschaffen. Und doch hat
diese Amazone etwas von antikem Geist in sich und trägt den
Namen, den sie sich anmasst, keineswegs zu Unrecht. In
dieser Verbindung von Antik und Modern aber begrüssen wir
das, was uns Tuaillons Werk besonders wertschätzen lässt.
Der junge Meister hat damit eine Bahn gefunden, auf der er
sich wohl in kurzer Frist schon allgemeine Anerkennung
erringen wird.
G. Gronau
([ 54 ])