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verheiratet hatte, zwang sie mit Naturnotwendigkeit nach
Beendigung ihrer ersten grossen Platte von der Radierung
zum reinen ßlankstich überzugehen und die zweite Kompo-
sition: „Phantasie und mutterloses Mädchen" nur mit Stichel
und kalter Nadel aufs Kupfer zu bringen. Die Durchbildung
der Form wurde ihr, wie der vorzügliche Akt auf dem ge-
nannten Blatt bezeugt, zur Hauptsache, und mit Eifer ging
sie an die vorbereitenden Studien für die übrigen Komposi-
tionen des geplanten Cyklus, von denen wir eine: den
Kopf der durch alle Blätter hindurchgehenden Hauptfigur
zu dem Bilde „Orakel" reproduzieren. Sie hatte die meiste
Zeit der vorhergehenden Jahre aufs Malen verwendet, auch
die radierte Schlussdarstellung im Winter 1893 auf einer
grossen Leinwand untermalt, und schon beabsichtigte sie die
Komposition noch einmal in etwas kleinerem Format zu
stechen. Aber nicht genug damit: nach einem kurzen
Studienaufenthalt inMadrid, wo sie im April 1894 mit ihrem
Manne Bilder von Velazquez kopierte, u. a. eine ausgezeich-
nete Reproduktion der „Spinnerinnen" malte und einige
Damenbildnisse nach dem Leben zu stechen begann, zog sie
sich in die Einsamkeit des Sabinergebirges nach Bellegra zu-
rück und arbeitete hier abwechselnd an fünf Platten ihres
Cyklus. Inzwischen gewann ein neuer, beinahe phantastischer
Plan in ihrem unruhigen Kopfe feste Gestaltung: die sieben
Kompositionen in Bildern allergrüssten Formates zu malen,
da es ihr unmöglich schien bei der unendlichen Mühe des
Stechens und Radierens ihre eigene Naturanschauung ge-
nügend zur Geltung zu bringen und in die kleinen Figürchen
und Gesichter den geistigen Inhalt zu legen, den sie ihnen
zu geben wünschte. Das Verlangen nach Pinsel und Farben
trat nach der angestrengten zeichnerischen und stecherischen
Thätigkeit immer stürmischer hervor, und da sie gleichzeitig

die geistige Oede des römischen Kunstlebens, dieVerständnis-
losigkeit der durchreisenden Fremden für moderne Kunst-
bestrebungen schwer empfand, auch ein Auftrag für grössere
Bilder in der Heimat winkte, entschloss sie sich mit ihrem
Manne, der ihr immer als treuer Berater, in feinfühliger
Rücksichtnahme auf die künstlerischen Ziele seiner Gattin,
zur Seite gestanden, im Sommer 1895 nacn Berun überzu-
siedeln.

Hier entstanden die beiden grossen Bilder für den Fest-
saal eines Privathauses, von denen der Pan die schon in Rom
entworfene Skizze der Musikgruppe reproduziert. Die zarte,
von hohem poetischen Stimmungsgehalt erfüllte Komposition,
eine Umschreibung der Dichterworte: „Horch der Hain er-
schallt von Liedern", erinnert bei aller Persönlichkeit der
Auffassungsweise an Puvis de Chavannes und Ludwig von
Hofmann, ist aber viel kräftiger in der Farbe gehalten als
die Bilder der genannten Künstler und wird — dafür bürgen
die vorhandenen Einzelstudien und die Eigenart der Künst-
lerin — in der formalenDurchbildung erheblich weiter gehen,
als man es sonst auf Stimmungsbildern ähnlicher Art ge-
wohnt ist.

Cornelia Paczka steht gegenwärtig in der Vollkraft ihres
Schaffens, und wenn sie auch zeitweilig den Schwerpunkt
ihrer künstlerischen Thätigkeit auf das benachbarte Gebiet
der Malerei verlegt hat, so wird sie doch früher oder später
zu den zeichnenden Künsten zurückkehren, in deren Bezirk
die starken "Wurzeln ihrer Kraft liegen. Hier ist es, wo der
männliche Ernst ihres Vorwärtsstrebens, die Tiefe ihrer
Lebensanschauung und die herbe Strenge ihrer Naturauf-
fassung der Künstlerin einen bleibenden Platz in der Kunst-
geschichte sichern.

Max Lehrs

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