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RUNDSCHAU
PALASTFENSTER UND FLUEGELTHUER
UNSERE bürgerliche Architektur hat in den letzten fünf-
undzwanzig Jahren sehr grosse, aber leider sehr einseitige
Fortschritte gemacht. Denn während die Einrichtungen in
Keller und Küche, in Bade- und Schlafzimmer, Allem, was
unsern Vätern in ihrer Jugend genügen musste, unendlich
überlegen sind, hat die Durchbildung der Wohn- und Ge-
sellschaftsräume keinerlei wesentliche Verbesserung erfahren.
Sie sind weder praktischer noch schöner geworden, ja es
will mir scheinen, als ob im Grunde das künstlerische Niveau
noch tiefer gesunken wäre.
Die falsche Fährte, die unsere bürgerliche Baukunst in
diesem Jahrhundert bei vermehrtem "Wohlstand der Bevöl-
kerung eingeschlagen hatte, wurde weiter verfolgt, und die
Nachahmung fürstlicher Pracht, anfangs ein beklagenswertes
Missverständnis, ist zu systematischer Barbarei ausgeartet.
Wollen wir zu gesundern Zuständen zurückkehren, so
müssen wir die Punkte zu erkennen suchen, wo die Besserung
einzusetzen hat. Es ist dies nicht zunächst das Kunstgewerbe,
auch nicht der Stil, mit dem die Facade verziert wird, denn
er ist für das Innere, auf das es ankommt, völlig gleichgültig.
Den Ausschlag giebt die Gestaltung und Beleuchtung der
Innenräume.
Diese aber ist abhängig von der Behandlung der Fenster
und Thüren, und wenn unsere Baukunst unzulänglich ist und
trotz aller stilistischen Todessprünge nicht vom Flecke kommt,
so rührt es von der principiellen Verkehrtheit der Anlage der
Licht- und Verkehrsöffnungen her.
Wir dürfen eine Wendung zum Bessern nicht vom Archi-
tekten allein erwarten. Mehr als jeder andere Künstler ist
er abhängig von den Bedürfnissen, dem Geschmack und dem
guten Willen seiner Auftraggeber.
Es gilt deshalb zunächst im deutschen Bürgerstande die
Erkenntnis zu verbreiten, dass neunzig Prozent der Räume in
unsern Neubauten beim besten Willen und bei Aufwand
grosser Mittel behaglich nicht eingerichtet werden können,
weil Fenster und Thüren es nicht gestatten.
Das Fenster gehört zugleich dem Aussen- und dem Innen-
bau an. Es ist der Angelpunkt, um den sich der Entwurf
des Baumeisters dreht — oder drehen sollte.
In der Facade bildet es die rhythmisch verteilten Dunkel-
heiten, die mächtiger als alle Säulen, Ornamente und Gesimse
den Charakter bestimmen. Wenn aus der Ferne gesehen alle
Schmuckformen in die Masse der reflektierenden Wand zu-
rückgesunken sind, sprechen immer noch die dunkeln Flecke
der Fenster, die kein Licht zurückstrahlen. Und weder Estrich,
Wand, Decke noch Thür kommen im Innenraum gegen das
Fenster auf. Es steht unter ihnen wie ein lebendiges Wesen
unter leblosen Dingen und hat an sich Gewalt, den Raum
gross oder klein, behaglich oder widerwärtig, künstlerisch
oder banal erscheinen zu lassen.
Unsere moderne Architektur aber gefällt sich in einer
auffallenden Nichtachtung gerade dieses ausdrucksvollsten
Baugliedes.
Sie kennt im Grunde nur noch eine Form, die des ita-
lienischen Palastfensters und hat alle die mannigfaltigen
Bildungen aufgegeben, die in den letzten Jahrhunderten dem
Bedürfnis unseres Klimas, unserer Lebensgewohnheiten und
unserer künstlerischen Empfindung entsprossen waren.
Das Fenster wird ausschliesslich als ein Teil der Facade
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RUNDSCHAU
PALASTFENSTER UND FLUEGELTHUER
UNSERE bürgerliche Architektur hat in den letzten fünf-
undzwanzig Jahren sehr grosse, aber leider sehr einseitige
Fortschritte gemacht. Denn während die Einrichtungen in
Keller und Küche, in Bade- und Schlafzimmer, Allem, was
unsern Vätern in ihrer Jugend genügen musste, unendlich
überlegen sind, hat die Durchbildung der Wohn- und Ge-
sellschaftsräume keinerlei wesentliche Verbesserung erfahren.
Sie sind weder praktischer noch schöner geworden, ja es
will mir scheinen, als ob im Grunde das künstlerische Niveau
noch tiefer gesunken wäre.
Die falsche Fährte, die unsere bürgerliche Baukunst in
diesem Jahrhundert bei vermehrtem "Wohlstand der Bevöl-
kerung eingeschlagen hatte, wurde weiter verfolgt, und die
Nachahmung fürstlicher Pracht, anfangs ein beklagenswertes
Missverständnis, ist zu systematischer Barbarei ausgeartet.
Wollen wir zu gesundern Zuständen zurückkehren, so
müssen wir die Punkte zu erkennen suchen, wo die Besserung
einzusetzen hat. Es ist dies nicht zunächst das Kunstgewerbe,
auch nicht der Stil, mit dem die Facade verziert wird, denn
er ist für das Innere, auf das es ankommt, völlig gleichgültig.
Den Ausschlag giebt die Gestaltung und Beleuchtung der
Innenräume.
Diese aber ist abhängig von der Behandlung der Fenster
und Thüren, und wenn unsere Baukunst unzulänglich ist und
trotz aller stilistischen Todessprünge nicht vom Flecke kommt,
so rührt es von der principiellen Verkehrtheit der Anlage der
Licht- und Verkehrsöffnungen her.
Wir dürfen eine Wendung zum Bessern nicht vom Archi-
tekten allein erwarten. Mehr als jeder andere Künstler ist
er abhängig von den Bedürfnissen, dem Geschmack und dem
guten Willen seiner Auftraggeber.
Es gilt deshalb zunächst im deutschen Bürgerstande die
Erkenntnis zu verbreiten, dass neunzig Prozent der Räume in
unsern Neubauten beim besten Willen und bei Aufwand
grosser Mittel behaglich nicht eingerichtet werden können,
weil Fenster und Thüren es nicht gestatten.
Das Fenster gehört zugleich dem Aussen- und dem Innen-
bau an. Es ist der Angelpunkt, um den sich der Entwurf
des Baumeisters dreht — oder drehen sollte.
In der Facade bildet es die rhythmisch verteilten Dunkel-
heiten, die mächtiger als alle Säulen, Ornamente und Gesimse
den Charakter bestimmen. Wenn aus der Ferne gesehen alle
Schmuckformen in die Masse der reflektierenden Wand zu-
rückgesunken sind, sprechen immer noch die dunkeln Flecke
der Fenster, die kein Licht zurückstrahlen. Und weder Estrich,
Wand, Decke noch Thür kommen im Innenraum gegen das
Fenster auf. Es steht unter ihnen wie ein lebendiges Wesen
unter leblosen Dingen und hat an sich Gewalt, den Raum
gross oder klein, behaglich oder widerwärtig, künstlerisch
oder banal erscheinen zu lassen.
Unsere moderne Architektur aber gefällt sich in einer
auffallenden Nichtachtung gerade dieses ausdrucksvollsten
Baugliedes.
Sie kennt im Grunde nur noch eine Form, die des ita-
lienischen Palastfensters und hat alle die mannigfaltigen
Bildungen aufgegeben, die in den letzten Jahrhunderten dem
Bedürfnis unseres Klimas, unserer Lebensgewohnheiten und
unserer künstlerischen Empfindung entsprossen waren.
Das Fenster wird ausschliesslich als ein Teil der Facade
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