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■was für Flügelthüren! Zwei Flügel gelten für sehr massig,
die Regel sind schon Faltthüren aus sechs Theilen, die eine
ganze Wand einnehmen. Sind sie geschlossen, so ist mit
den beiden Räumen, die sie verbinden, gar nichts anzufangen.
Das Ungeheuer von Thür lässt nichts neben sich aufkommen.
Sind sie offen, so nehmen sie ein gut Stück Wand in Anspruch.

Sollte man nicht denken, das Zimmer müsste eigentlich
in erster Linie für das Behagen des täglichen Aufenthalts
angelegt sein? Gehen wir von diesem Standpunkt aus, so
genügt eine Thür in den allermeisten Fällen vollständig.

Eine Thür weit vom Fenster entfernt und ein Fenster
mit hoher Fensterbank, das giebt den behaglichen Innenraum,
den wir gar nicht mehr kennen.

Wir brauchen nur das englische Haus anzusehen, um zu
erkennen, dass sichs sehr wohl in solchen Räumen hausen
lässt. Für das Wohnhaus kennt der Engländer im Prinzip
das Ineinandergehen der Zimmer nicht. Das Wohnzimmer
liegt für sich, zum Esszimmer muss man über den Korridor
oder durch die Halle. Grosse Gesellschaften in solchem Hause
zu geben, wäre unmöglich, wenn nicht die Halle — das
Treppenhaus — als Wohnraum eingerichtet wäre. Für das
tägliche Leben und für die intimere Geselligkeit hat diese
Anordnung unendliche Annehmlichkeit. In Amerika hat man
in jüngster Zeit die aufschlagenden sperrigen Thürflügel, die
wir durch die Einrichtung der Schiebethüren unschädlich zu

machen suchen, ganz einfach weggelassen. Das ist jedenfalls
rationell gehandelt, denn die Schiebethüren sind vom hygie-
nischen Standpunkt aus mehr als bedenklich.

Häuser sind zum Bewohnen, nicht zum Besehen da, hat
vor dreihundert Jahren Baco den Engländern zugerufen. Für
unsere deutsche Architektur ist das immer noch kein Gemein-
platz geworden.

Nur das Geschäftshaus, dieser neue Organismus, hat seine
starken und unabweisbaren Bedürfnisse geltend zu machen
gewusst. Im Monumentalbau wie im Privatbau herrscht die
akademische Gedankenlosigkeit nach wie vor.

Auch uns stände der Weg zu einer bewohnbaren Archi-
tektur noch offen, den die Engländer beschritten haben, wenn
nur nicht die übermächtige Gewöhnung an eine verwerfliche
Tradition und die ästhetische und praktische Bedürfnislosig-
keit unseres Publikums jedes Bemühen lahm legte.

Möchte es gelingen Unzufriedenheit mit der Monotonie
der Palastfenster und Misstrauen gegen die Schönheit der
Flügelthüren in die Herzen zu säen! Das Ideal für ein behag-
liches Zimmer zum Wohnen ist ein Fenster — so gross wie
möglich — und eine Thür — so klein wie möglich.

Alfred Lichtwark

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