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Mittel verloren sein, so wird auch diese Kunst wieder neu
erstehen. Freilich ist es wohl möglich, dass wir auch hier
jenes Wechselbild der Stile nochmals erleben und verarbeiten
müssen, wie es die Architektur in ihren Stilwandlungen der
letzten Jahrzehnte uns bietet.

Zweierlei grosse Seiten der Gartenkunst sind heute un-
genützt. Zunächst jene unendlich poetische, auf die oben
öfters hingededeutet ist: die Schaffung jener Zaubergärten,
welche uns aus der harten Gegenwart und Wirklichkeit hin-
wegführen in eine wunderbare Märchen- und Traumwelt,
die das Unmögliche möglich und wahr macht. Das ist der
orientalische Garten seit vielen Jahrtausenden, das waren die
hängenden Gärten der Semiramis, davon bieten uns noch die
heutigen Gärten des fernen China mit ihren wunderlichen
Gewächsen, ihren porzellangeschmückten, schellenbehangenen
Kiosken, ihren phantastischen oder ungeheuerlichen Gestal-
ten einen Schimmer. Ein Abglanz, wie das verglimmende
Abendrot der Sonne, sind uns von jener Welt die Höfe der
Alhambra mit ihren Marmorbecken und Brunnen, ihren
Myrthenhecken, ihren duftenden Granat- und Citronen-
bäumen; das Köstlichste, was davon noch vorhanden ist, sind
die Wasserkünste des unvergleichlichen Gartens im nahege-
legenen Generalife. Aber um ganz zu ermessen, wie jene Welt
einst beschaffen war, müssen wir hinabtauchen in die Flut
der alten arabischen Schriftsteller, die uns erzählen von gold-
nen und silbernen Bäumen, in denen künstliche Vögel ihre
Lieder singen, von dem Marmor und Mosaik der flimmernden
Wasseradern, den rauschenden Brunnen im Schatten der köst-
lichsten Gewürzbäume, von wunderbar gepflegten Blumen
von unerhörter Pracht und Gestalt, von Terrassen, Bassins,
Kiosken, von verborgener Musik und neckisch hervorbrechen-
den Wasserstrahlen, von lauschig kühlen Arkaden und Grotten
mit Teppichen in Gold, Purpur und allen Farben, mit Ge-
stalten gefüllt, als ob sie lebten. — Und überall schwebt
hier das Urbild aller dieser Werke vor uns, der Rand der
murmelnden Quelle, die unter Palmen Kühle verbreitet und
Blätter und Blumen aus der Erde zaubert, ein Paradies im
unendlichen, glühenden Sandmeer, wo es sich wonnig lagert
zum Träumen, wo der Märchenerzähler in sinnendem Tone
das Wunderbarste als wahr berichtet.

Zum andern, und das ist für die Gegenwart noch viel

wichtiger, muss die Gartenkunst neu erwachen als Begleiterin,
als holde und doch starke Schwester der Baukunst. Es ist
kläglich zu sehen, wie heute Villa und Haus, Monument
und Fontaine beliebig irgend wohin auf einen Präsentierteller
gesetzt werden, verlassen, ohne Ueberleitung, ohne Um-
gebung. Wo das Bedürfnis allzu schreiend ist, werden einige
Schlangenwege durch eine „liebliche" Rasenfläche nebst eini-
gen Gebüschen ringsum hergestellt, oder man verfällt in einen
„architektonischen" Charakter, der dem Denkmal einen An-
blick verleiht, als ob man es in die Mitte einer bunten Torte
gesetzt habe, die vorher von der Hausfrau sorgfältig für die
verschiedenen Familienmitglieder eingeteilt ist. Von einer
Gartenarchitektur, die mit Balustraden und Treppen, mit
Terrassen, Statuen und Säulen, mit Wasserbecken und Fon-
tainen einen starken architektonischen Eindruck nach aussen
verstärkt und wieder vermittelt, die das Grosse grösser und
das Schöne schöner erscheinen lässt, ahnt man in solchen
Fällen noch gar nichts. Freilich, hier erweitert sich das Ge-
biet der Garten-Architektur ins Ungemessene, alles zu sich
reissend, was Gruppierung und Einteilung, wie Einfassung
und Gliederung von Plätzen irgendwie berührt; da wird sie
zur grossen, ja zur grössten Architektur überhaupt.

Dennoch ist ihr dies Gebiet noch offen und frei3 und es
ist hier noch Alles zu lernen und zu leisten. Wer die oft
schreiende Disharmonie unser grossartigsten Plätze in Deutsch-
land vor Augen sieht, um welche die verschiedenartigsten
Bauwerke, wie aus allerlei Baukasten willkürlich durch-
einander gewürfelt, hingestreut sind, wer sich vergegen-
wärtigt, dass selbst ein Lustgarten in Berlin mehr zufällig
als bewusst grossartig wirkt, wer die Not bemerkt, die eine
auch nur einigermassen harmonische Ausgestalung und Zu-
sammenstimmung des Königsplatzes bereitet, der fragt be-
kümmert, wann wohl die Erkenntnis kommen wird, dass
auch das Zusammenbauen und Einheitlichgestalten von Ge-
bäuden, die Platzgestaltung, ja die Stadtpläne eine künst-
lerische Aufgabe sind — ja die wichtigste und grösste, die
gestellt werden kann. Und zur Lösung ist nur eine Zeit be-
rufen, die die schlummernde alte Garten-Architektur wieder
neu erweckt und belebt hat. Lebt sie einst wieder, so
werden uns auch wieder Kapitole und Foren erstehen.

Albrecht Haupt
 
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