Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
IN HAC LACRYMARUM VALLE

u

BALLADE

VON

STANISLAW PRZYBYSZEWSKI

— Aber du läfst mich bald, bald zu dir kommen?
Sie hing sich ihm zärtlich um den Hals.

— Gleich, gleich; spätestens in drei Wochen.
Und sie prefsten sich an einander in langer,

heifser Umarmung. Dann nahm er ihren Kopf in
seine Hände und spielte mit ihren Haaren.

— Ich bin dir so dankbar, weil du die Erste
bist, von der ich weifs, dafs sie mich wirklich liebt
und jedes Opfer für mich bringen könnte.

Er zog sie ganz nahe an sich.

__ Ich werde nie etwas von dir verlangen, aber

ich habe den festen Glauben, dafs du Alles für
mich thun kannst . . . Alles . . .

— Das schwerste Opfer, sagte sie leise . . .
Verlang es nur, verlange . . . Das wird mein
höchstes Glück sein, wenn ich dir ein Opfer
bringen kann.

Er küfste sie lange auf die Stirn, auf die Augen,

auf das Haar . . .

AN CONRAD ANSORGE

— Jetzt bin ich glücklich, flüsterte er, ganz
glücklich, ich bin wie neugeboren, und so stark
und jung.

— Ja, ich fühle, wie du jung geworden bist.
Als ich dich das erste Mal sah, gingst du gebückt,
und um deine Lippen war ein häfsliches krankes
Lächeln. Dann sah ich, wie von Tag zu Tag dein
Körper stolzer und sicherer wurde; und eines Tages
gingst du über die Strafse — du sahst mich nicht,
aber ich ging glücklich und bewundernd hinter
dir . . . Dein Kopf war stolz aufgerichtet — wie
ein König gingst du unter den Menschen . . . Und
das habe ich gemacht?

— Ja, du — du . . .

Er nahm ihre Hand an seine Lippen und küfste
sie in stummer Dankbarkeit.
Plötzlich sprang sie auf.

— Aber mein Gott, ich vergesse ja wieder . . .
Ich mufs dir meinen herrlichen Schmuck doch zeigen.

C 113 D

15
 
Annotationen