AUS DRESDEN
AUF der Dresdener Gewerbe-Ausstellung ist das An-
2\ ziehendste die „Alte Stadt". Es ist kein neuer Gedanke, der
Schau-Menge das Vergnügen zu bereiten, sich vor dem Bilde
des Alten für ausserordentlich „fortgeschritten" zu halten.
Die „Alten Städte" sind schon sehr alt. Vor i 5 Jahren etwa
sah ich Alt-London auf einer Fischereiausstellung in South-
Kensington, und sicher war dies nicht der erste Versuch dieser
Art. Alt-Antwerpen, Alt-Bremen, dies Jahr Alt-Berlin sind
mir gerade in Erinnerung. In Dresden aber ist die Alte Stadt
fast zur Hauptsache der Ausstellung geworden. Der äufsere
Erfolg ist zweifellos auf Seite der lustiggemeinten, nicht der
ernsten Ausstellungshälfte. Das ist eine Beobachtung, die
prächtige Gelegenheit gäbe, über den Kunstunverstand der
Deutschen, Sachsen und der Eibflorentiner insbesondere her-
zuziehen. Ich kenne dies Register zu genau, als dafs ich nicht
einen Aufsatz auf ihm sofort herunterspielen könnte, selbst
wenn man mich plötzlich aus dem tiefsten Nachtschlaf dazu
aufwecken würde. Aber ich darf es nicht, wenigstens nicht
mit gutem Gewissen. Denn mir gefällt ja selbst die Alte
Stadt besser als die neue Ausstellung, obgleich sie „entlehnte
Kunst", „Nachempfindung", meinetwegen sogar Meiningerei
ist. Es wird ja auch geschauspielert dort!
Da steht ein Markt mit seinem Rathaus, der Wache, der
Post, und zahlreichen Gast- und Brauhäusern. Da ist ein
Stück Festung mit "Wassergraben und Lustbauten auf dem
Walle, da ist ein Dorf vor dem Thor. Unter all dem kein
Werk von höherem künstlerischen Wert — den haben die
ausführenden Architekten und Maler wohl absichtlich nicht
erstrebt — und dabei ist das Ganze so reizend geworden, dafs
es die Leistungen der ernsten Kunst meines Ermessens ganz
mächtig überragt. Die Dresdener ziehen massenhaft dorthin,
es wimmelt von Bewunderern. Was noch spafshafter ist:
auch die Meifsner kommen, obgleich ihre alte Stadt acht
und die Dresdner nur von Brettern und Gyps ist.
Und doch bietet die Alte Stadt nichts, was nicht auch
aufser ihr ganz in der Nähe ähnlich zu finden wäre. Noch
sind im Innern Dresdens zahlreiche Winkel und Gäss'chen
die nicht minder schön, nicht minder malerisch sind.
Malerisch und dabei künstlerisch vollendet. Wertvoller in
doppeltem, dreifachem Sinne, wertvoller weil echt, geschicht-
lich, meisterhaft: da ist nichts in der Ausstellung wie der
Blick von dem Gäss'chen hinter der Brühischen Terrasse auf
die katholische Kirche; der Aufbau der Wirkung des
Schlofsthurmes, wie er über den Stallhof in die Töpferstrafse
sieht; die königliche Gröfse der Frauenkirche mit all dem
Häuserwerk zu ihren Füfsen; die alte Eibbrücke mit ihren
bollwerkartig dem Strome trotzenden Pfeilern; die malerische
Buntheit des Zwingers im Gegensatz zu der schattigen Breite
C 131 D
17*
AUF der Dresdener Gewerbe-Ausstellung ist das An-
2\ ziehendste die „Alte Stadt". Es ist kein neuer Gedanke, der
Schau-Menge das Vergnügen zu bereiten, sich vor dem Bilde
des Alten für ausserordentlich „fortgeschritten" zu halten.
Die „Alten Städte" sind schon sehr alt. Vor i 5 Jahren etwa
sah ich Alt-London auf einer Fischereiausstellung in South-
Kensington, und sicher war dies nicht der erste Versuch dieser
Art. Alt-Antwerpen, Alt-Bremen, dies Jahr Alt-Berlin sind
mir gerade in Erinnerung. In Dresden aber ist die Alte Stadt
fast zur Hauptsache der Ausstellung geworden. Der äufsere
Erfolg ist zweifellos auf Seite der lustiggemeinten, nicht der
ernsten Ausstellungshälfte. Das ist eine Beobachtung, die
prächtige Gelegenheit gäbe, über den Kunstunverstand der
Deutschen, Sachsen und der Eibflorentiner insbesondere her-
zuziehen. Ich kenne dies Register zu genau, als dafs ich nicht
einen Aufsatz auf ihm sofort herunterspielen könnte, selbst
wenn man mich plötzlich aus dem tiefsten Nachtschlaf dazu
aufwecken würde. Aber ich darf es nicht, wenigstens nicht
mit gutem Gewissen. Denn mir gefällt ja selbst die Alte
Stadt besser als die neue Ausstellung, obgleich sie „entlehnte
Kunst", „Nachempfindung", meinetwegen sogar Meiningerei
ist. Es wird ja auch geschauspielert dort!
Da steht ein Markt mit seinem Rathaus, der Wache, der
Post, und zahlreichen Gast- und Brauhäusern. Da ist ein
Stück Festung mit "Wassergraben und Lustbauten auf dem
Walle, da ist ein Dorf vor dem Thor. Unter all dem kein
Werk von höherem künstlerischen Wert — den haben die
ausführenden Architekten und Maler wohl absichtlich nicht
erstrebt — und dabei ist das Ganze so reizend geworden, dafs
es die Leistungen der ernsten Kunst meines Ermessens ganz
mächtig überragt. Die Dresdener ziehen massenhaft dorthin,
es wimmelt von Bewunderern. Was noch spafshafter ist:
auch die Meifsner kommen, obgleich ihre alte Stadt acht
und die Dresdner nur von Brettern und Gyps ist.
Und doch bietet die Alte Stadt nichts, was nicht auch
aufser ihr ganz in der Nähe ähnlich zu finden wäre. Noch
sind im Innern Dresdens zahlreiche Winkel und Gäss'chen
die nicht minder schön, nicht minder malerisch sind.
Malerisch und dabei künstlerisch vollendet. Wertvoller in
doppeltem, dreifachem Sinne, wertvoller weil echt, geschicht-
lich, meisterhaft: da ist nichts in der Ausstellung wie der
Blick von dem Gäss'chen hinter der Brühischen Terrasse auf
die katholische Kirche; der Aufbau der Wirkung des
Schlofsthurmes, wie er über den Stallhof in die Töpferstrafse
sieht; die königliche Gröfse der Frauenkirche mit all dem
Häuserwerk zu ihren Füfsen; die alte Eibbrücke mit ihren
bollwerkartig dem Strome trotzenden Pfeilern; die malerische
Buntheit des Zwingers im Gegensatz zu der schattigen Breite
C 131 D
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