WINTERFELDZUG IN LEIPZIG
S sah so aus — äufserlich —, als ob in
Leipzig, der Stadt der Bücher, alles litte-
rarische Leben erloschen wäre. An der
Universität konnte man natürlich die regel-
mäfsigen litterarischen Kollegien hören,
und ein Stadttheater haben wir auch, sogar
ein sehr ehrwürdiges, mit dem das An-
denken an Gottsched und Lessing, Schlegel, Geliert, an
Goethe, Laube und an viele andere Namen von gutem Klang
eng verbunden ist, — aber die Dichtung, ganz besonders die,
die mit uns geboren ist, war keine öffentliche An-
gelegenheit mehr in Leipzig. Und das mufs sie sein, wie
alle Kunst.
Da nahm es im vorigen Frühling eine kleine Künstler-
zunft, das Leipziger-Auguren-Kolleg, in die Hand, das Dorn-
röschen zu befreien und beschlofs, eine „Litterarische Gesell-
schaft" zu gründen, die Vortragsabende und Theatermatineen
bieten sollte. An den Vortragsabenden sollten teils litterar-
historische und litterarasthetische Vorträge gehalten, teils
Dichtungen in Vers und Prosa vorgetragen werden. Das
Vorlesen von Dichtungen sollte ausschliefslich durch die
Verfasser selbst oder durch schauspielerisch geschulte Vor-
leser geschehen. An den Matineen sollten „dramatische Kunst-
werke modernen Geistes von selbständiger Bedeutung" auf-
geführt werden. Die Vortragsabende sollten mit den Matineen
im Zusammenhange stehen und unser Publikum in erster
Linie mit den Dichtern bekannt machen, deren Dramen für die
Matineen in Aussicht genommen waren, wobei wir, um einem
naheliegenden Mifsverständnisse vorzubeugen, unsere eigenen
dramatischen Erzeugnisse von der Aufführung ausschlössen.
Der ganze Plan begegnete auf die ersten Zeitungsnotizen
hin einem fast allgemeinen wohlwollenden Achselzucken.
Unsere Namen waren, wie eine hiesige Tageszeitung sehr
richtig schrieb, „in weitesten Kreisen unbekannt", und was
der eine oder andere von uns veröffentlicht hatte, liefs uns
höchstens als verdächtig erscheinen. Unsere ganze Sache
machte den denkbar unsolidesten Eindruck. Dafs die Litte-
rarische Gesellschaft „nichts für junge Mädchen" wäre, stand
von vornherein fest. Aber die Tagespresse veröffentlichte doch
mit einem vorsichtigen „Man schreibt uns" ein paar vor-
bereitende Artikel, und als wir im September einen Prospekt
erscheinen liefsen, der in knappen Worten zusammenfafste,
was wir wollten, bekamen wir in wenigen Tagen etwa drei-
hundert aufserordentliche Mitglieder, sodafs wir mit einer
monatlichen Einnahme von etwa 2000 M. rechnen konnten.
Der Bühne, die wir brauchten, hatten wir uns vorher,
ehe wir irgendwie an die OefFentlichkeit traten, versichert.
Es giebt nämlich in der Südvorstadt von Leipzig ein sozusagen
verwunschenes Theater, das, abgesehen von seiner unmög-
lichen Lage, seiner bösen Akustik, seinem völligen Mangel
an Inventar und seiner trostlosen Verstaubtheit doch immer-
hin ein wirkliches Theater ist. In diesem Theater haben
früher mehrere Unternehmer vergeblich ihr Glück versucht,
dann hat es der Direktor unseres Stadttheaters erpachtet, so
dafs er nun sämtliche ordentliche Bühnen Leipzigs beherrscht.
Er läfst es in der Hauptsache leer stehen. Hier, im „Carola-
theater", gestattete uns Direktor Stägemann mit wirklicher,
uneigennützigster Freundlichkeit gegen Ersetzung der er-
wachsenden Kosten unsere vierzehn Matineen abzuhalten.
Uebrigens teilte er mit ganz besonders fester Ueberzeugung
die damals allgemeine Ansicht, dass aus unserem Komödie-
spielen ganz sicher nichts werden würde.
Wir engagierten uns nun ein Ensemble von Schauspie-
lern, so gut es eben zu bekommen war, darunter Ludwig
Piori vom Residenztheater in Berlin, dem wir um dieser
stolzen Herkunft willen Titel und Rang eines artistischen
Direktors verliehen. Dieses Ensemble konnte nur Stücke von
weniger als zwölf Personen spielen. Erst nach unserer schönen,
unvergefslichen Eröffnungsvorstellung von Hauptmanns
„Friedensfest", die uns noch etwa hundert neue Mitglieder
einbrachte, konnten wir unser Ensemble noch etwas vervoll-
ständigen. Erst jetzt engagierten wir Fräulein Helene Riechers,
die durch einen Zufall zu uns kam, und die sehr bald von
uns, von der Presse und vom Publikum einstimmig als ein
Stern erster Gröfse anerkannt wurde. Von ihr und wohl auch
von Herrn Arthur Waldemar, wird man ganz gewifs auch
fernerhin noch hören, während unsere anderen Schauspieler
das Beste, was sie boten, insbesondere das musterhafte Zu-
sammenspiel der genialen und unermüdlichen Regie Dr. Carl
Heines verdankten. Dafs wir Heine hatten, war das gröfste
Glück unseres ganzen Unternehmens. Heine hat einige gute
theatergeschichtliche Bücher geschrieben, aber niemals hätten
C 141 -3
S sah so aus — äufserlich —, als ob in
Leipzig, der Stadt der Bücher, alles litte-
rarische Leben erloschen wäre. An der
Universität konnte man natürlich die regel-
mäfsigen litterarischen Kollegien hören,
und ein Stadttheater haben wir auch, sogar
ein sehr ehrwürdiges, mit dem das An-
denken an Gottsched und Lessing, Schlegel, Geliert, an
Goethe, Laube und an viele andere Namen von gutem Klang
eng verbunden ist, — aber die Dichtung, ganz besonders die,
die mit uns geboren ist, war keine öffentliche An-
gelegenheit mehr in Leipzig. Und das mufs sie sein, wie
alle Kunst.
Da nahm es im vorigen Frühling eine kleine Künstler-
zunft, das Leipziger-Auguren-Kolleg, in die Hand, das Dorn-
röschen zu befreien und beschlofs, eine „Litterarische Gesell-
schaft" zu gründen, die Vortragsabende und Theatermatineen
bieten sollte. An den Vortragsabenden sollten teils litterar-
historische und litterarasthetische Vorträge gehalten, teils
Dichtungen in Vers und Prosa vorgetragen werden. Das
Vorlesen von Dichtungen sollte ausschliefslich durch die
Verfasser selbst oder durch schauspielerisch geschulte Vor-
leser geschehen. An den Matineen sollten „dramatische Kunst-
werke modernen Geistes von selbständiger Bedeutung" auf-
geführt werden. Die Vortragsabende sollten mit den Matineen
im Zusammenhange stehen und unser Publikum in erster
Linie mit den Dichtern bekannt machen, deren Dramen für die
Matineen in Aussicht genommen waren, wobei wir, um einem
naheliegenden Mifsverständnisse vorzubeugen, unsere eigenen
dramatischen Erzeugnisse von der Aufführung ausschlössen.
Der ganze Plan begegnete auf die ersten Zeitungsnotizen
hin einem fast allgemeinen wohlwollenden Achselzucken.
Unsere Namen waren, wie eine hiesige Tageszeitung sehr
richtig schrieb, „in weitesten Kreisen unbekannt", und was
der eine oder andere von uns veröffentlicht hatte, liefs uns
höchstens als verdächtig erscheinen. Unsere ganze Sache
machte den denkbar unsolidesten Eindruck. Dafs die Litte-
rarische Gesellschaft „nichts für junge Mädchen" wäre, stand
von vornherein fest. Aber die Tagespresse veröffentlichte doch
mit einem vorsichtigen „Man schreibt uns" ein paar vor-
bereitende Artikel, und als wir im September einen Prospekt
erscheinen liefsen, der in knappen Worten zusammenfafste,
was wir wollten, bekamen wir in wenigen Tagen etwa drei-
hundert aufserordentliche Mitglieder, sodafs wir mit einer
monatlichen Einnahme von etwa 2000 M. rechnen konnten.
Der Bühne, die wir brauchten, hatten wir uns vorher,
ehe wir irgendwie an die OefFentlichkeit traten, versichert.
Es giebt nämlich in der Südvorstadt von Leipzig ein sozusagen
verwunschenes Theater, das, abgesehen von seiner unmög-
lichen Lage, seiner bösen Akustik, seinem völligen Mangel
an Inventar und seiner trostlosen Verstaubtheit doch immer-
hin ein wirkliches Theater ist. In diesem Theater haben
früher mehrere Unternehmer vergeblich ihr Glück versucht,
dann hat es der Direktor unseres Stadttheaters erpachtet, so
dafs er nun sämtliche ordentliche Bühnen Leipzigs beherrscht.
Er läfst es in der Hauptsache leer stehen. Hier, im „Carola-
theater", gestattete uns Direktor Stägemann mit wirklicher,
uneigennützigster Freundlichkeit gegen Ersetzung der er-
wachsenden Kosten unsere vierzehn Matineen abzuhalten.
Uebrigens teilte er mit ganz besonders fester Ueberzeugung
die damals allgemeine Ansicht, dass aus unserem Komödie-
spielen ganz sicher nichts werden würde.
Wir engagierten uns nun ein Ensemble von Schauspie-
lern, so gut es eben zu bekommen war, darunter Ludwig
Piori vom Residenztheater in Berlin, dem wir um dieser
stolzen Herkunft willen Titel und Rang eines artistischen
Direktors verliehen. Dieses Ensemble konnte nur Stücke von
weniger als zwölf Personen spielen. Erst nach unserer schönen,
unvergefslichen Eröffnungsvorstellung von Hauptmanns
„Friedensfest", die uns noch etwa hundert neue Mitglieder
einbrachte, konnten wir unser Ensemble noch etwas vervoll-
ständigen. Erst jetzt engagierten wir Fräulein Helene Riechers,
die durch einen Zufall zu uns kam, und die sehr bald von
uns, von der Presse und vom Publikum einstimmig als ein
Stern erster Gröfse anerkannt wurde. Von ihr und wohl auch
von Herrn Arthur Waldemar, wird man ganz gewifs auch
fernerhin noch hören, während unsere anderen Schauspieler
das Beste, was sie boten, insbesondere das musterhafte Zu-
sammenspiel der genialen und unermüdlichen Regie Dr. Carl
Heines verdankten. Dafs wir Heine hatten, war das gröfste
Glück unseres ganzen Unternehmens. Heine hat einige gute
theatergeschichtliche Bücher geschrieben, aber niemals hätten
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