können, und — nachher ist uns nichts mehr verboten
worden. Uebrigens waren mehrere Herren von der Polizei
und vom Rate regelmäfsige Besucher unserer Vorstellungen
und haben weder an Hartlebens „Hanna Jagert", die be-
kanntlich in Berlin zuerst verboten wurde, noch an dem
komischen Amtsvorsteher Wehrhahn in Hauptmanns „Biber-
pelz", den wir ohne jeden Strich gespielt haben, noch an
Martin Lehnhardt's jugendlich freigeistigen Tiraden, noch an
der Brutalität von Strindbergs „Vatercc Anstofs genommen.
Man gönnte uns als einer Bühne von spezifisch
litterarischer Tendenz thatsächlich die völligste
Freiheit.
Und ich meine, wir haben keinen Schaden angerichtet.
Auf unserer Bühne ist manches Kraftwort sozialer und
politischer Art gesprochen worden, aber wer sich bei uns
eine politische oder sociale Weltauffassung hätte holen
wollen, der wäre schlecht bedient gewesen. Denn wenn er
sich alle die Meinungen wohl gemerkt hätte, die bei uns zu
Worte kamen, so würde er sehr bald dieselbe schöne Samm-
lung von Widersprüchen gehabt haben, die er auch aufser-
halb des Theaters täglich und überall anlegen kann.
Das Leipziger Publikum, besonders das spezifisch litte-
rarisch interessierte Publikum, aus dem unsere Zuhörerschaft
bestand, versteht es im Allgemeinen besser, ein Kunstwerk
als solches zu geniefsen, als beispielsweise das Berliner
Premierenpublikum. Niemals ist bei uns die "Würde und
Feierlichkeit einer Vorstellung durch jenes pöbelhafte und
alle Stimmung tütende Hineinreden und Ulken gestört wor-
den, das man in Berlin fast bei jeder Premiere erleben kann.
Die Aufführung von Hauptmanns „Biberpelz", die in
Berlin bekanntlich nicht einschlug, war der grofse Siegestag
unseres Winterfeldzugs. Diese Aufführung verlief bei uns
wie ein schönes Fest. Damals, vor der Maeterlinckaufführung,
hatte Kurt Martens den sehr glücklichen Einfall gehabt, den
Zuschauerraum mit einer leichten Wolke von Weihrauch
zu erfüllen, — diesmal war die Stimmung vor dem Vorhang
auch ohne Weihrauch noch viel, viel festlicher. Und wie
herzlich ist an diesem Morgen gelacht worden! Auch brauchte
man sich nicht, wie sonst, wenn man von modernen Possen
und Schwänken heimkommt, hinterher seines Lachens zu
schämen. Das Bild der Waschfrau Wolffen, — die von
unserer Liebhaberin, Mathilde Werner, mit unübertrefflicher
Komik gespielt wurde, — mit den krebsroten Armen und
Händen in ihrem geflickten Geschlumper und mit dem einen
heruntergerutschten Wollstrumpfe, umgeben von unzähligen
Lorbeerkränzen und Blumenkörben, haftet unauslöschlich in
meiner Erinnerung.
Am Tage dieser Aufführung veröffentlichten Dr. Heine
und ich unseren schon lange vorbereiteten Plan zur Erbauung
einer neuen Schauspielbühne in Leipzig, die mit dem Schau-
spiel unseres Stadttheaters in Wettstreit treten soll. Zu
unserer grofsen Freude wurde unser Vorhaben sofort — be-
sonders von grofsen Verlagsfirmen — auPs Thatkräftigste
untertützt, und wenn wir nun unser „Leipziger Schauspiel-
haus" so auszuführen vermögen, wie wir's uns denken, so
sollen die Musen ihre Lust daran haben!
Walter Harlan
C i43 3
worden. Uebrigens waren mehrere Herren von der Polizei
und vom Rate regelmäfsige Besucher unserer Vorstellungen
und haben weder an Hartlebens „Hanna Jagert", die be-
kanntlich in Berlin zuerst verboten wurde, noch an dem
komischen Amtsvorsteher Wehrhahn in Hauptmanns „Biber-
pelz", den wir ohne jeden Strich gespielt haben, noch an
Martin Lehnhardt's jugendlich freigeistigen Tiraden, noch an
der Brutalität von Strindbergs „Vatercc Anstofs genommen.
Man gönnte uns als einer Bühne von spezifisch
litterarischer Tendenz thatsächlich die völligste
Freiheit.
Und ich meine, wir haben keinen Schaden angerichtet.
Auf unserer Bühne ist manches Kraftwort sozialer und
politischer Art gesprochen worden, aber wer sich bei uns
eine politische oder sociale Weltauffassung hätte holen
wollen, der wäre schlecht bedient gewesen. Denn wenn er
sich alle die Meinungen wohl gemerkt hätte, die bei uns zu
Worte kamen, so würde er sehr bald dieselbe schöne Samm-
lung von Widersprüchen gehabt haben, die er auch aufser-
halb des Theaters täglich und überall anlegen kann.
Das Leipziger Publikum, besonders das spezifisch litte-
rarisch interessierte Publikum, aus dem unsere Zuhörerschaft
bestand, versteht es im Allgemeinen besser, ein Kunstwerk
als solches zu geniefsen, als beispielsweise das Berliner
Premierenpublikum. Niemals ist bei uns die "Würde und
Feierlichkeit einer Vorstellung durch jenes pöbelhafte und
alle Stimmung tütende Hineinreden und Ulken gestört wor-
den, das man in Berlin fast bei jeder Premiere erleben kann.
Die Aufführung von Hauptmanns „Biberpelz", die in
Berlin bekanntlich nicht einschlug, war der grofse Siegestag
unseres Winterfeldzugs. Diese Aufführung verlief bei uns
wie ein schönes Fest. Damals, vor der Maeterlinckaufführung,
hatte Kurt Martens den sehr glücklichen Einfall gehabt, den
Zuschauerraum mit einer leichten Wolke von Weihrauch
zu erfüllen, — diesmal war die Stimmung vor dem Vorhang
auch ohne Weihrauch noch viel, viel festlicher. Und wie
herzlich ist an diesem Morgen gelacht worden! Auch brauchte
man sich nicht, wie sonst, wenn man von modernen Possen
und Schwänken heimkommt, hinterher seines Lachens zu
schämen. Das Bild der Waschfrau Wolffen, — die von
unserer Liebhaberin, Mathilde Werner, mit unübertrefflicher
Komik gespielt wurde, — mit den krebsroten Armen und
Händen in ihrem geflickten Geschlumper und mit dem einen
heruntergerutschten Wollstrumpfe, umgeben von unzähligen
Lorbeerkränzen und Blumenkörben, haftet unauslöschlich in
meiner Erinnerung.
Am Tage dieser Aufführung veröffentlichten Dr. Heine
und ich unseren schon lange vorbereiteten Plan zur Erbauung
einer neuen Schauspielbühne in Leipzig, die mit dem Schau-
spiel unseres Stadttheaters in Wettstreit treten soll. Zu
unserer grofsen Freude wurde unser Vorhaben sofort — be-
sonders von grofsen Verlagsfirmen — auPs Thatkräftigste
untertützt, und wenn wir nun unser „Leipziger Schauspiel-
haus" so auszuführen vermögen, wie wir's uns denken, so
sollen die Musen ihre Lust daran haben!
Walter Harlan
C i43 3