DIE ALTSAECHSISCHE
BILDNERSCHULE
IM
DREIZEHNTEN JAHRHUNDERT
DAS ALTE SACHSEN birgt in seinem Schofs eine Anzahl
der wertvollsten Kleinode mittelalterlicher Kunst, die
dem Bewufstsein des deutschen Volkes vertrauter werden
sollten, als bisher. Es sind Meisterwerke der Bildnerei, die zur
höchsten Blüte des romanischen Stiles gehören, und als solche
eine Bedeutung beanspruchen dürfen, die weit über die
Grenzen Deutschlands hinausstrahlt. Unter allen Denkmälern,
die aus jener Zeit erhalten sind, wüfsten wir auch bei unsern
Nachbarn draufsen keins von so hoher Vollendung zu rinden.
Nirgends sonst vereinigt sich die strenge Gesetzmäfsigkeit
mit solchem Grade natürlicher Freiheit, nirgends steht eine
solche Reihe noch heute im Zusammenhang mit den Bauten,
für die sie geschaffen worden, als Ganzes einer stolzen Kunst-
entwickelung da. Diese Werke der altsächsischen Skulptur
sprechen das Höchste jenes Stiles mit überlegener Klarheit
aus, als habe es sich hier zwischen Elbe und Weser darum
gehandelt, dem fremden von Westen herüberdringenden Bau-
system, das wir die Gotik nennen, eine letztwillige Fassung
des ganzen heimischen Vermächtnisses gegenüberzustellen.
Und dieses Erbteil, so tief durchdrungen von deutschem Ge-
müt und deutschem Charakter, liegt als Schatz im eigenen
Lande noch ungehoben und unverwertet für die deutsche
Kunst der Gegenwart.
Das bildnerische Schaffen, das wir für uns ersehnen, hat
doch wohl ein anderes Anliegen, als das des Mittelalters!
Gewifs, weder klassische noch romantische Nachahmung
vermögen ihm zu helfen, besonders wenn der eigene Drang
so stark geworden, wie man meint. Aber Vertiefung in die
künstlerische Gedankenwelt vergangener Blütezeiten wird
immer befruchtend wirken, und zwar desto glücklicher, je
ferner die Anwandlungen bleiben, auch die alte Formenwelt
als solche zu wiederholen und eine tote Sprache sich anzu-
eignen. Freilich darf man die künstlerische Gedankenwelt
auch nicht mit der poetischen Ideenwelt verwechseln, als ob
diese im Stande wäre, das Entstehen vollkräftiger Gestaltung
zu erklären oder gar zu erneuern.
Weder die Einzelform in ihrer geschichtlichen Bedingt-
heit noch der Vorstellungsablauf in ebenso abhängiger Be-
fangenheit, sondern vielmehr jene Mittelregion, di« den
bildenden Künsten ausschliefslich angehört und zu allen
Zeiten den lebenden Künstler am meisten angeht, sie soll uns
allein beschäftigen bei unserer Betrachtung. Denn hier im
C 15° I)
BILDNERSCHULE
IM
DREIZEHNTEN JAHRHUNDERT
DAS ALTE SACHSEN birgt in seinem Schofs eine Anzahl
der wertvollsten Kleinode mittelalterlicher Kunst, die
dem Bewufstsein des deutschen Volkes vertrauter werden
sollten, als bisher. Es sind Meisterwerke der Bildnerei, die zur
höchsten Blüte des romanischen Stiles gehören, und als solche
eine Bedeutung beanspruchen dürfen, die weit über die
Grenzen Deutschlands hinausstrahlt. Unter allen Denkmälern,
die aus jener Zeit erhalten sind, wüfsten wir auch bei unsern
Nachbarn draufsen keins von so hoher Vollendung zu rinden.
Nirgends sonst vereinigt sich die strenge Gesetzmäfsigkeit
mit solchem Grade natürlicher Freiheit, nirgends steht eine
solche Reihe noch heute im Zusammenhang mit den Bauten,
für die sie geschaffen worden, als Ganzes einer stolzen Kunst-
entwickelung da. Diese Werke der altsächsischen Skulptur
sprechen das Höchste jenes Stiles mit überlegener Klarheit
aus, als habe es sich hier zwischen Elbe und Weser darum
gehandelt, dem fremden von Westen herüberdringenden Bau-
system, das wir die Gotik nennen, eine letztwillige Fassung
des ganzen heimischen Vermächtnisses gegenüberzustellen.
Und dieses Erbteil, so tief durchdrungen von deutschem Ge-
müt und deutschem Charakter, liegt als Schatz im eigenen
Lande noch ungehoben und unverwertet für die deutsche
Kunst der Gegenwart.
Das bildnerische Schaffen, das wir für uns ersehnen, hat
doch wohl ein anderes Anliegen, als das des Mittelalters!
Gewifs, weder klassische noch romantische Nachahmung
vermögen ihm zu helfen, besonders wenn der eigene Drang
so stark geworden, wie man meint. Aber Vertiefung in die
künstlerische Gedankenwelt vergangener Blütezeiten wird
immer befruchtend wirken, und zwar desto glücklicher, je
ferner die Anwandlungen bleiben, auch die alte Formenwelt
als solche zu wiederholen und eine tote Sprache sich anzu-
eignen. Freilich darf man die künstlerische Gedankenwelt
auch nicht mit der poetischen Ideenwelt verwechseln, als ob
diese im Stande wäre, das Entstehen vollkräftiger Gestaltung
zu erklären oder gar zu erneuern.
Weder die Einzelform in ihrer geschichtlichen Bedingt-
heit noch der Vorstellungsablauf in ebenso abhängiger Be-
fangenheit, sondern vielmehr jene Mittelregion, di« den
bildenden Künsten ausschliefslich angehört und zu allen
Zeiten den lebenden Künstler am meisten angeht, sie soll uns
allein beschäftigen bei unserer Betrachtung. Denn hier im
C 15° I)