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DER SCHMETTERLING

(AUS EINEM BRIEFE VOM FRUEHLING)

VON

PER HALLSTROEM

AUS DEM SCHWEDISCHEN VON FRANCIS MARO

WIE seltsam, hier zu gehen, den Frühling um
mich, den Frühling, der alles erfüllt und in
jedes Sonnenstrahls weifsem Glanz vernehmbar ist,
obgleich ich die Augenlider senke und nicht sehe,
und in jedes Lüftchens Duft, obgleich ich mich
nicht mühe, es zu trinken, den Frühling rings um
mich — und in meinem Herzen Alles so weit weg
vom Frühling.

Vielleicht doch nicht, vielleicht verstehe ich ihn
besser als die Anderen, wenn auch so ganz ungleich.

Den Anderen ist er neu, sie haben ihn zuvor
gesehen, aber das haben sie wieder vergessen 5 sie
haben seines Kommens geharrt, und als er da war, da
erschien er ihnen wie ein Wunderwerk, nie geahnt,
nie gefühlt, sie wurden emporgehoben von seinem
Rausche, sie glaubten jedem Worte, das er ins Ohr
flüsterte, sie lachten mit ihm, sangen mit ihm, es
kam ihnen nicht in den Sinn, zu zweifeln. So war
es früher auch mit mir, vor einem Jahr noch war
es so — für uns beide.

Aber jetzt verstehe ich ihn besser, den Früh-
ling, ich liebe ihn nicht weniger — wie sollte man
auch etwas so Sprödes und Zartes und Feines nicht
lieben? — aber ich sehe die Wehmut unter seinem
Lächeln. Wenn ich es nicht wüfste, wenn ich
nicht die Tiefen von Schmerz erfahren hätte, die
unter des Frülüings lichten Träumen hegen, würde

auch ich jetzt nicht die Wehmut ahnen, die er
birgt, ich würde nicht fassen, dafs etwas von
Schmerz durchwebt sein mufs, um so zu leuchten
und zu zittern und mein Inneres zu locken und
mitbeben zu machen. Nein, jetzt erst verstehe
ich den Frühling.

Ich gehe und gehe in dem feuchten Sande und
trete wieder und wieder die Spur meiner Schritte
und denke wieder und wieder den Kreis meiner
Gedanken und sehe dieselben Erinnerungen an mir
vorüberziehen und mir folgen mit ihrem zögernden
Blick und mir zunicken mit demselben weichen
Lächeln, wenn sie meine Hand loslassen und
wenn sie sie wieder ergreifen, nach der Wanderung
weniger Minuten.

Die Kirschenblüten haben schon ihre meisten
weifsen Blätter verloren, sie sind herabgeschneit,
liegen aber noch frisch und leicht auf der Erde
und auf dem Boden der Veranda. Die Apfelbäume
stehen in ihrer schönsten lichtrosigen Pracht, wie
die holdesten Bräute stehen sie da, der Himmel
hinter ihnen ist so blau, hat aber doch auch etwas
von dem Glitzern des Frostes über sich. Die Birken
dort im Walde schweben leicht wie Wolken —
wunderlich, dafs sie dableiben, dafs sie nicht empor-
gehoben werden und verschwinden! — aber die
Nadelbäume dahinter stehen noch ebenso dunkel

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