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Aber ebenso wenig wie dem Denken kann es auch dem Em-
pfinden jemals gelingen, den künstlerischen Schatz zu heben,
der in dem Kunstwerk verborgen ist. — Und in seiner Schrift
über Marees (i 880) sagte er: Der Inhalt der Darstellung ist
das, was nicht in der Darstellung enthalten ist, sondern sich
nur von ihr aussagen läfst. — Der Mensch kann zum höch-
sten Ausdruck der.Realität nur durch schöpferische, ideale
Gestaltung gelangen.

*

Haftet der Art, wie diese Ziele bestimmt werden, auch
eine gewisse Starrheit an, die der Bewegungsfreiheit der künst-
lerischen Ausdrucksweise vielleicht nicht ingenügendemMafse
Rechnung trägt, so mufs doch zugegeben werden, dafs nur
durch die Aufstellung so hoher, allein durch wahrhaft monu-
mentale Kunst zu befriedigender Forderungen ein wirklich
fester Mafsstab für dieBeurteilungderkünstlerischenLeistungen
gefunden werden konnte. Marees ist es vor Allem gewesen,
der sie in seinem hochfliegenden Streben bethätigt hat; Hilde-
brand hat ihnen dann, vom Standpunkte des Bildhauers aus,
in seihem „Problem der Form" bestimmten Ausdruck ge-
geben.

So manche der übrigen, wenn auch noch so talentvollen
Künstler der Gegenwart waren dadurch von der warmen und
thatkräftigen Teilnahme Fiedlers ausgeschlossen: der eine
blieb zu sehr in dem Streben verstrickt, die "Wirklichkeit
treu nachzuahmen; der andere begnügte sich zu leicht mit einer

oberflächlichen Wiedergabe des Natureindrucks; • der
dritte war zu rasch bei der Hand, sich seine Ausdrucks-
mittel fertig vom Auslande her zu beschaffen; ein vierter
suchte zu absichtlich eine bestimmte Wirkung beim- Pub-
likum zu Erzielen; ein fünfter endlich hatte zu viel der
menschlichen Schlacken mit sich herumzuschleppen.

In all solchen Fällen war Fiedler nicht der Mann-
dazu, um über den einen oder den andern Mangel hinw.eg-
zublicken: die Entwicklung der Kunst als solcher lag
ihm nicht am Herzen, bildete für ihn nicht eine Kultur-
frage; bei jedem einzelnen Künstler fing die Kunst, wie er
es bekannt hat, stets wieder von vorn an," denn die
schöpferische Persönlichkeit bildete für ihn den Quell jeder
künstlerischen Thätigkeit: auf deren Kraft und Reinheit
kam es an, nicht auf die einzelnen Leistungen oder deren
Wirkungen.

Nur dadurch, sagt er in der bereits angeführten
Schrifc über den Ursprung der künstlerischen Thätigkeit,
dafs man den Thätigkeitsvorgang erlebt, in dem sich Natur
zum Kunstgebilde gestaltet, vermag man dem Künstler auf
sein eigenes Gebiet zu folgen, ihn in seiner eigenen Sprache
zu verstehen. — An der künstlerischen Produktion ent-
wickeln wir den dunklen und verworrenen Drang der
eignen Natur zum klaren Schauen und leben uns in das
besondere Weltbewufstsein hinein, welches in den Werken
der Künstler zum Dasein gelangt. — Denn in der Wahr-
nehmung durch das Auge, die mit einem Schlage die sicht-
bare Welt zu enthüllen scheint, ist doch nur ein Hinweis,
ein Zugang zu erblicken zu einem Reiche der Sichtbar-
keit, in welches nicht mehr das Auge, sondern nur die
Sichtbares gestaltende Thätigkeit vordringen kann. — Das
Sehen im Sinne des Künstlers fängt erst da an, wo alle
Möglichkeit des Benennens und Konstatierens in wissen-
schaftlichem Sinne aufhört, oder, so paradox es auch
klingen mag, wo die Anschauung aufhört. — Unsere Vor-
stellungen von der Wirklichkeit sind als dauernde Gebilde
überhaupt nicht nachweisbar, ihr Sein besteht in einem Ent-
stehen und Vergehen. — Die künstlerische Arbeit mufs daher
eine fragmentarische bleiben. Es kann nur zu MifsVerständ-
nissen führen, wenn man in ihr eine fortschreitende Bewegung
nach einem Ziele sucht, zu dessen Erreichung alle künstle-
rischen Leistungen nur als Vorstufen zu betrachten seien. Die
Aufgabe der Kunst, wenn man von einer solchen reden will,
bleibt immer dieselbe, im Ganzen ungelöste und unlösbare,
und mufs immer dieselbe bleiben, so lange es Menschen
giebt.

Gerade die Zärtlichkeit und liebevolle Nachsicht, die er
den stammelnden und doch so vieles verheifsenden Versuchen
von Marees entgegengebracht, hat es bewiesen, wie er auch
schon mit dem kleinsten Mafs von Leistung, ja bereits mit
dem blofsen Wollen zufrieden sein konnte. Bezeichnend für
ihn ist der Ausspruch, den er in seiner Schrift über Marees
that: man mifsverstand ihn (Marees) und das ist das gröfste,
wenn auch das tagtägliche Unrecht, das der Mensch dem
Menschen zufügt. Sattler hebt in seiner angeführten Mittei-
lung hervor, mit wie zarter Rücksicht Fiedler den jungen
aufkeimenden Talenten begegnet sei, deren Wachstum in
einer für die Entwickelung des Künstlers so wenig günstigen

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