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der Verein des Marsfeldes mit grüfseren Mitteln und starkem
Erfolge betrat. Eine strenge und geschmackvolle Jury stellte
eine Sammlung auf, die nur den vierten Teil der gewohnten
Zahl umfafste, in kleineren Sälen bequem und weiträumig
untergebracht war, und für die gangbare Handelsware keinen
Platz bot. Das wurde eine grofse und freudige Ueberraschung
für alle, die es gut meinten mit der Kunst und ihr mit wahr-
haftem Interesse ergeben waren. Am freudigsten begrüfsten
natürlich die Maler diese Neuerung, denn sie sahen ihre
Werke unter günstigen Bedingungen aufgestellt, ohne das
fürchterliche Chaos des Bilderladens und das Geschrei des
Marktes.

Im Guten wie im Schlimmen folgten dem Beispiele
Frankreichs England, Deutschland und Amerika. Auch sie
hatten in den grofsen Weltjahrmärkten ein neues und wirk-
sames Reizmittel gefunden. Aber bald tauchte von ver-
schiedenen Seiten her das Streben auf nach einer Reform des
modernen Ausstellungswesens. Spezialausstellungen wünscht
man, Fachausstellungen von kleinerem Umfang, von leichterer
Uebersichtlichkeit, bei denen jeder zu seinem Recht kommt,
bei denen auch das Kleinste und Feinste seinen Spruch sagen
und sich Geltung verschaffen kann. Man verwirft jene
grofsen Weltjahrmärkte mit ihrem wüsten Spektakel, ihrem
brutalen "Wertkampf, ihren vergebens gebrachten Opfern.
Handel, Industrie und Landwirtschaft haben schon hie und
da Versuche angestellt, sich in kleinerem Kreis zu zeigen und
diese Versuche waren erfolgreich. Die grofsen Schaumärkte
haben ihren Beruf erfüllt; die Uebersicht über die Gesamt-
kultur ganzer Völker und ganzer Erdteile, die sie gewährten,
war einst aufserordentlich schätzbar. Aber in einer Zeit
der ausgebildeten Verkehrsmittel, der vorzüglich organisierten
Presse, läfst sich diese Uebersicht mit kleinerem Apparate er-
reichen. Der Ueberbück über die Weltindustrie, einmal er-
worben, kann nicht wieder verloren gehen, und kleinere
Veranstaltungen werden gröfsere Vertiefung und erhöhte
Sachlichkeit befördern.

Aehnliche Erwägungen waren es, welche die englischen
Maler bewegten sich in kleineren Gesellschaften zusammen
zu schliefsen, ähnliche, welche in Brüssel und Amsterdam
kleine Kunstklubs ins Leben riefen. Denn wenn die grofse
Ausstellung die Industrie zu nutzloser Kraftvergeudung, zu
nicht lohnenden, materiellen Opfern hinreifsen kann, so be-
deutet sie für die Kunst eine wirkliche Gefahr. Der Tech-
niker kann sich wohl einmal verleiten lassen ein grofses
Schaustück zu bauen, das nur der gaffenden, gedankenlosen
Menge imponiert, oder er kann einmal ein maschinelles Spiel-
zeug konstruieren, das Lärm macht und auffällt, ohne doch
einem Kulturzweck zu dienen. Aber niemals wird er sich
auf die Dauer von seinen praktischen Zielen entfernen und
müfsige Hirngespinnste zu gestalten versuchen nur um des
Auffallens willen. Doch die Maler werden von dem Riesen-
haften der Ausstellungen zum Extravaganten, Sensationellen
verführt. Das Bescheidene, Kleine, Harmlose wirkt natür-
lich nicht inmitten des grofsen Marktes. Wer sich bemerk-
lich machen will, mufs etwas recht Absonderliches, Ver-
rücktes aushecken, mufs übertreiben und vergröbern. Da
kommt eine Mifsgeburt zur Welt, an der frühere, kunstge-
wöhnte Zeiten voll Schaudern vorüber gehen würden: das
Sensationsbild. Ein Virtuosenstück, das zum Sterben geboren
ist, das vernichtet wird, wenn es seinen Zweck erfüllt, wenn

es von sich reden gemacht, das keinem inneren Drange sein
Entstehen verdankt, sondern der krankhaften Sucht nach ge-
räuschvollem Erfolg, der wahnwitzigen Begierde Alles zu
überschreien, was aus gleichen Motiven entstanden, etwa
daneben hängen könnte. Das Panoptikum und die Schreckens-
kammer bekommen gefährliche und mit allen Mitteln
kämpfende Konkurrenten. Der widersinnige und durchaus
unkünstlerische Begriff des „guten Ausstellungsbildes" wird
Jedermann geläufig und richtet in den Köpfen der Kunst-
freunde und der Maler Verheerungen an, verdirbt den Ge-
schmack und überreizt die Nerven, sodafs sie nur noch auf
die allerschärfsten Reizmittel reagieren. Statt erzieherisch zu
wirken, das Publikum heranzubilden, sinkt das Gros der
Maler immermehr zum Sklaven des Kunstpöbels herab und
fröhnt den Instinkten der Masse, statt sie zu bekämpfen.

Wer in den zwei letzten Jahrzehnten dem künstlerischen
Leben in München aufmerksam gefolgt ist, konnte für diese
Betrachtungen vollauf Bestätigung finden. Zuerst fanden die
Ausstellungen in vierjährigen Zwischenräumen statt. Und
von einem Mal zum andern sank der Durchschnitt. Wohl
brachte einmal diese Nation, dann eine andere ein paar her-
vorragende Kunstwerke mit, wohl waren die paar grofsen
Namen, die wir in Deutschland haben, immer mehr oder
weniger gut vertreten. Aber die Auswahl von älteren Bildern
wurde immer enger, das fieberhafte Schaffen der grofsen
Masse der Mittelmäfsigen immer unerfreulicher, so dafs der
Gesamteindruck immer trübseliger wurde. Und als man nun
endlich die vierjährigen Zwischenräume aufgab, Jahr für
Jahr den Glaspalast aufmachte und die Zahl der Nummern
■wachsen und wachsen liefs, wurde es ein Schrecken ohne
Ende. Nicht einmal mehr die Maler interessierten sich für
die vielen Hundert Quadratmeter bemalter Leinwand, ge-
schweige denn das Publikum. Und jener Fremde, der auf
die Frage, ob er denn dieses Jahr schon im Glaspalast ge-
wesen, antwortete: „Ach was, da bin ich ja voriges Jahr
erst drin gewesen," hat Vielen aus der Seele gesprochen. Wo
sollten auch in einem kurzen Jahr die vielen Tausende von
guten, neuen Bildern herkommen, die anzuschauen es sich
der Mühe verlohnte. Es leben ja ein paar Dutzend Maler in
München, aber sind diese Maler auch alle Künstler? Können
sie es sein ? Das sind durchaus ehrenwerte Leute, die Kunst-
waren anfertigen, höchst achtbare Männer, die sich im
Schweifse ihres Angesichts ihr Brot verdienen. Denn auf
dem Markt mufs die Ware nach dem Geschmack des Käufers
sein, gerade so bunt, gerade so trivial, wie er es verlangt,
und wohlgeordnet von allen Sorten. Etwas Heiteres für die
Gutgelaunten und ein wenig Ernstes für die Sentimentalen,
ein leicht verständlicher Witz für die Denkfaulen und für
die Nachdenklichen ein kleines Bilderrätsel. Vergnügte
Mönche, melancholische Nonnen, saubere Dirnen, kernige
Bauern, alle die gut etikettierten Schubladen, die das geehrte
Publikum genau kennt und von Herzen liebt, müssen mit
gut gearbeiteter Ware gefüllt sein. Und ehrenwerte Männer
sind es, die das Meisterstück, das sie einmal gefertigt, für
das Bedürfnis des Tages wieder und wieder herstellen in end-
losen Wiederholungen. Märtyrer oft, die gerne etwas Besseres
möchten, auch könnten vielleicht, und doch von der täg-
lichen Sorge immer wieder bezwungen werden. Aber Künst-
ler sind sie nicht, gerade so wenig, wie alle Schriftsteller
Dichter sind. Zu allen Zeiten hat es solche Maler gegeben,

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