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AUS MUENCHEN

kIE witzelnden FreskenWil-
helm von Kaulbachs an
den Aufsenwänden der
neuen Pinakothek in
München, die den Auf-
schwung der Künste
unter dem seltenen Mä-
cenatentum König Lud-
wigs I, verherrlichten,
sind bis auf wenige fast
spurlos verschwunden.
Verlöscht ist auch
das so charakteristische
erste Bild der Reihe, den
Kampf darstellend, den
die Bahnbrecher der „neuen Kunst", die
Winckelmann, Carstens, Thorwaldsen, Schin-
kel, Cornelius, Overbeck gegen ein Ungeheuer
führen, das die in engem Kerker eingeschlossenen Grazien
bewacht und durch Allonge-Perrücke, Zopf und Haarbeutel
auf den widrig grinsenden Menschenköpfen deutlich genug
als die „Afterkunst", die Kunst des Barocks, des Rokokos
und des Zopfes gekennzeichnet ist.

Verlöscht ist das Bild. Verlöscht ist auch — so müfste
es König Ludwig scheinen, ■wenn er heute einen Gang durch
das von ihm begründete Neu-München machen könnte —

verlöscht ist auch jede Erinnerung daran, dafs jener Kampf
einmal mit heiliger Begeisterung von den Besten der Zeit ge-
führt worden ist.

Das moderne München, soweit es sich in den letzten
zwanzig Jahren entwickelt hat, steht unverkennbar unter
dem Zeichen des Barocks, des Rokokos und des Zopfes.

Welch eine Ironie des Schicksals! Sie erscheint um so
gröfser, wenn man bedenkt, dafs derselbe Ruf, mit dem die
Vorkämpfer des Klassizismus gegen die Barocke zu Felde
zogen, ein Jahrhundert später als Kampfgeschrei gegen die
Epigonen des Klassizismus erschallte und auch den Wieder-
einzug der Barocke in Neu-München begleitete.

„Zurück zur Natur, zur Einfachheit und Wahrheit!"
So rief man damals und baute griechische Tempelhallen,
römische und florentinische Paläste in den märkischen Sand
und auf die oberbayerische Hochebene.

Das Grofse, das jene idealistische Zeit wollte und in
manchen Stücken auch erreichte, kann nur eine durchaus
unhistorische Beurteilung ganz verkennen. An den höchsten
Aufgaben des Monumentalbaues bewährte das hehre Pathos
der welterobernden Antike und ihrer glorreichen Wieder-
geburt auf's Neue ihre unversiegliche Kraft. Wurzelechte
Natürlichkeit, innerste Wahrhaftigkeit mangelt freilich auch
den besten jener Schöpfungen einer auf fremden Boden ver-
pflanzten Kunstweise. Der reine Hellenismus vor Allem
mufste dem derb-ehrlichen Münchener mehr noch, wie dem

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