Der Fall ist bezeichnend in mehr als einer Hinsicht. Ob
man die Lehren daraus ziehen wird ? Es ist kaum zu erwarten.
Um die Architekten, die Alt-München vor dem Eindringen
der internationalen Grofsstadtphrasen noch möglichst lange
bewahren möchten, schart sich nur eine kleine Gemeinde.
Es wäre zu wünschen, dafs der Münchener Bürger seinen
starken Lokalpatriotismus auch in architektonischen Fragen
geltend machte in der Erkenntnis, dafs die besonderen Reize
seiner Vaterstadt nicht in dem liegen, was sie mit anderen
Grofsstädten gemein hat, sondern in dem, was sie von jenen
unterscheidet.
M alten München waren die Künstler, die im
Dienste der Kirche und des Hofes prächtige
Bauten schufen, auch für den Geschmack
in der bürgerlichen Baukunst tonangebend.
So war es in alter Zeit allenthalben.
In dem München von heute ist ein lei-
tender Einflufs nicht zu verkennen, den die
Architekten der Stadtverwaltung auf die Privatbauthätigkeit
ausüben. So ist es heute nicht allenthalben. Und doch
entspricht diese "Wandlung vollkommen den Kräftever-
schiebungen, die das gesamte Kulturleben unseres Jahrhunderts
politisch und wirtschaftlich umgestaltet haben.
Hof und Kirche sind nicht mehr in dem Mafse wie früher
die Brennpunkte des öffentlichen, namentlich des künstleri-
schen Lebens. Die weltliche Macht der Kirche ist gebrochen;
an die Stelle fürstlicher Selbstherrlichkeit ist die immer reicher
und feiner sich ausgestaltende Organisation des modernen
Beamtenstaates getreten. Die Kunstpflege im grofsen Stil
haben die Verwaltungen der grofsen und kleinen Gemein-
wesen, des Staates und der Städte übernommen — im All-
gemeinen nicht zum Vorteil der Kunst.
Die reichen Mittel zu glänzenden künstlerischen Schöp-
fungen, die sonst das Machtwort weltlicher und geistlicher
Fürsten auch unter schwierigen Verhältnissen aufzubringen
wufste, sind in den sorgfältig geprüften, mühsam im Gleich-
gewicht erhaltenen modernen Verwaltungs-Budgets auf eine
oft nur widerwillig zugestandene Anstandssumme beschränkt.
Aber auch dann, wenn mehr als das Nötigste aufgewendet
wird, haftet unseren öffentlichen Bauten fast immer etwas
von dem Schematismus des individualitätslosen Beamtentums
an. Der Mangel an Charakter, an örtlicher Färbung bei
den meisten Staatsbauten ist hauptsächlich in dem häufigen
Wechsel, in der Heimatlosigkeit der Beamten und in ihrer
Abhängigkeit von den Zentralstellen begründet.
Wesentlich günstiger liegen die Verhältnisse bei den Ge-
meindeverwaltungen. Die Architekten in städtischen Diensten
sind nicht Glieder eines so grofsen Räderwerkes wie die
Staats-Baubeamten. Sie verbleiben in der Regel in dem ein-
mal eingenommenen Wirkungskreis, solange sie leben oder
schaffen. Sie verwachsen mit der Stadt, für. deren Wohlfahrt
und Verschönerung zu sorgen sie in erster Linie berufen sind.
Heimatsinn, ein liebevolles Versenken in die Eigenart des
Landstriches und seiner Bewohner, in seine kunst- und kultur-
geschichtliche Vergangenheit wird ihnen eigen sein und ihren
Werken j ene echte, ungekünstelte Stimmung verleihen können,
die aller bodenwüchsigen Kunst ihre gesunde überzeugende
Wirkung verleiht.
Noch sind der Städte wenige, in denen die leitenden
Baumeister ihre Aufgaben nach dieser Seite hin glücklich
erfassen. München und Nürnberg stehen hierin in Süddeutsch-
land einzig da.
Alle einfachen Gemeindebauten, wie Schulhäuser, Pfarr-
häuser, Krankenhäuser, Armenversorgungsanstalten, Feuer-
häuser, ja selbst die kleinen Zollhäuschen weit draussen an
der Grenze des Stadtbezirks werden in München ohne beson-
deren Aufwand an Mitteln so künstlerisch, anheimelnd,
stimmungsvoll durchgebildet, wie kaum irgendwo in Deutsch-
land. Auch bei der Ausarbeitung des Stadterweiterungsplanes
finden die künstlerischen Gesichtspunkte hier die weitgehendste
Berücksichtigung.
Möchte das Streben der führenden Münchener und Nürn-
berger Architekten, ihre Städte charaktervoll zu erhalten, mehr
als bisher geschehen, die verdiente Anerkennung finden und
zur Nacheiferung anderwärts anspornen. Möchte man aller
Orten in Deutschland erkennen, dafs auf dem hier ein-
geschlagenen Wege am sichersten und natürlichsten das
wiederzugewinnen ist, was in unserer Zeit des launenhaften
Eklektizismus der deutschen Baukunst vor Allem Not thut:
wurzelechte Bodenwüchsigkeit und ruhige Stetigkeit in der
Entwickelung.
Richard Streiter
Als nicht uninteressante Notiz zur Dupplizität von Ideen
sei bemerkt, dafs uns Prof. Dr. A. Lichtwark unter dem Titel
„Realistische Baukunst" einen Aufsatz ganz gleichen Inhalts für
dieses Heft zugesagt hatte, ihn jedoch zu Gunsten des vorstehend
gedruckten zurück zog. Anm. der Red.
man die Lehren daraus ziehen wird ? Es ist kaum zu erwarten.
Um die Architekten, die Alt-München vor dem Eindringen
der internationalen Grofsstadtphrasen noch möglichst lange
bewahren möchten, schart sich nur eine kleine Gemeinde.
Es wäre zu wünschen, dafs der Münchener Bürger seinen
starken Lokalpatriotismus auch in architektonischen Fragen
geltend machte in der Erkenntnis, dafs die besonderen Reize
seiner Vaterstadt nicht in dem liegen, was sie mit anderen
Grofsstädten gemein hat, sondern in dem, was sie von jenen
unterscheidet.
M alten München waren die Künstler, die im
Dienste der Kirche und des Hofes prächtige
Bauten schufen, auch für den Geschmack
in der bürgerlichen Baukunst tonangebend.
So war es in alter Zeit allenthalben.
In dem München von heute ist ein lei-
tender Einflufs nicht zu verkennen, den die
Architekten der Stadtverwaltung auf die Privatbauthätigkeit
ausüben. So ist es heute nicht allenthalben. Und doch
entspricht diese "Wandlung vollkommen den Kräftever-
schiebungen, die das gesamte Kulturleben unseres Jahrhunderts
politisch und wirtschaftlich umgestaltet haben.
Hof und Kirche sind nicht mehr in dem Mafse wie früher
die Brennpunkte des öffentlichen, namentlich des künstleri-
schen Lebens. Die weltliche Macht der Kirche ist gebrochen;
an die Stelle fürstlicher Selbstherrlichkeit ist die immer reicher
und feiner sich ausgestaltende Organisation des modernen
Beamtenstaates getreten. Die Kunstpflege im grofsen Stil
haben die Verwaltungen der grofsen und kleinen Gemein-
wesen, des Staates und der Städte übernommen — im All-
gemeinen nicht zum Vorteil der Kunst.
Die reichen Mittel zu glänzenden künstlerischen Schöp-
fungen, die sonst das Machtwort weltlicher und geistlicher
Fürsten auch unter schwierigen Verhältnissen aufzubringen
wufste, sind in den sorgfältig geprüften, mühsam im Gleich-
gewicht erhaltenen modernen Verwaltungs-Budgets auf eine
oft nur widerwillig zugestandene Anstandssumme beschränkt.
Aber auch dann, wenn mehr als das Nötigste aufgewendet
wird, haftet unseren öffentlichen Bauten fast immer etwas
von dem Schematismus des individualitätslosen Beamtentums
an. Der Mangel an Charakter, an örtlicher Färbung bei
den meisten Staatsbauten ist hauptsächlich in dem häufigen
Wechsel, in der Heimatlosigkeit der Beamten und in ihrer
Abhängigkeit von den Zentralstellen begründet.
Wesentlich günstiger liegen die Verhältnisse bei den Ge-
meindeverwaltungen. Die Architekten in städtischen Diensten
sind nicht Glieder eines so grofsen Räderwerkes wie die
Staats-Baubeamten. Sie verbleiben in der Regel in dem ein-
mal eingenommenen Wirkungskreis, solange sie leben oder
schaffen. Sie verwachsen mit der Stadt, für. deren Wohlfahrt
und Verschönerung zu sorgen sie in erster Linie berufen sind.
Heimatsinn, ein liebevolles Versenken in die Eigenart des
Landstriches und seiner Bewohner, in seine kunst- und kultur-
geschichtliche Vergangenheit wird ihnen eigen sein und ihren
Werken j ene echte, ungekünstelte Stimmung verleihen können,
die aller bodenwüchsigen Kunst ihre gesunde überzeugende
Wirkung verleiht.
Noch sind der Städte wenige, in denen die leitenden
Baumeister ihre Aufgaben nach dieser Seite hin glücklich
erfassen. München und Nürnberg stehen hierin in Süddeutsch-
land einzig da.
Alle einfachen Gemeindebauten, wie Schulhäuser, Pfarr-
häuser, Krankenhäuser, Armenversorgungsanstalten, Feuer-
häuser, ja selbst die kleinen Zollhäuschen weit draussen an
der Grenze des Stadtbezirks werden in München ohne beson-
deren Aufwand an Mitteln so künstlerisch, anheimelnd,
stimmungsvoll durchgebildet, wie kaum irgendwo in Deutsch-
land. Auch bei der Ausarbeitung des Stadterweiterungsplanes
finden die künstlerischen Gesichtspunkte hier die weitgehendste
Berücksichtigung.
Möchte das Streben der führenden Münchener und Nürn-
berger Architekten, ihre Städte charaktervoll zu erhalten, mehr
als bisher geschehen, die verdiente Anerkennung finden und
zur Nacheiferung anderwärts anspornen. Möchte man aller
Orten in Deutschland erkennen, dafs auf dem hier ein-
geschlagenen Wege am sichersten und natürlichsten das
wiederzugewinnen ist, was in unserer Zeit des launenhaften
Eklektizismus der deutschen Baukunst vor Allem Not thut:
wurzelechte Bodenwüchsigkeit und ruhige Stetigkeit in der
Entwickelung.
Richard Streiter
Als nicht uninteressante Notiz zur Dupplizität von Ideen
sei bemerkt, dafs uns Prof. Dr. A. Lichtwark unter dem Titel
„Realistische Baukunst" einen Aufsatz ganz gleichen Inhalts für
dieses Heft zugesagt hatte, ihn jedoch zu Gunsten des vorstehend
gedruckten zurück zog. Anm. der Red.